Online-Showcase Jahrgang #8 „LINGUISTIC XPEDITION“

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Die Stiftung Berliner Leben vergibt mit dem Programm Fresh A.I.R. (Artist-In-Residence) Stipendien an europäische Künstler*innen, die sich mit gesellschaftspolitischen und urbanen Themen auseinandersetzen. Gleichzeitig geben sie Bewohner*innen der Stadt in Form von Workshops und Veranstaltungen einen Einblick in ihre Perspektive und ihr Können. Die 12 Stipendiat*innen des achten Fresh A.I.R.-Jahrgangs aus insgesamt 8 Nationen sind im Januar 2023 nach Berlin gekommen und haben ihr Stipendium im Dezember 2023 beendet.

Die gesprochene Sprache ist für unsere Gesellschaft fundamental. Sie ist das vorherrschende Medium der Sinnbildung und resultiert aus dem Bedürfnis nach Verständigung. Die organisierte sprachliche Lautbildung ist eine spezifisch anthropologische Kompetenz, die sich – nach der Bildtheorie des französischen Paläoanthropologen André Leroi-Gourhan – in Abhängigkeit zur bildschöpferischen Werkzeughand herausbildet. In Leroi-Gourhans Rekonstruktion von der grundlegenden Verbindung von Sprache und Kunst („Hand und Wort“ (1984)) ist die Bildpotenz und -kompetenz, also die Fähigkeit, bildliche Artefakte herzustellen und Dinge als bildhafte Darstellungen zu verstehen, eine koevolutionäre Ausdrucksform zur gesprochenen Sprache. Die Hand des steinzeitlichen Homo sapiens als Organ zur Erzeugung von Werkzeugen und Gesten sowie seine organisierte sprachliche Lautbildung sind im Fronto-Parietal-Kortex neurologisch miteinander verbunden und sind für die Ausgestaltung des reflexiven, mehrdimensionalen Denkens essentiell. Sie entwickeln sich entsprechend in Korrelation zueinander. Während sich allmählich über die Koordination der Laute die orale Verdopplung der Welt herausbildet, erschaffen Hand und Werkzeug bildliche Ausdrucksformen – die symbolische Umsetzung und das figurative Abbild von Realität.

Auch die zwölf Stipendiat*innen des 8. Fresh A.I.R.-Jahrgangs haben von Januar bis Oktober 2023vielfältige künstlerische Projekte geschaffen. Sie alle kreisen um das Themenfeld Sprache und nehmen den Sprechakt als konstitutives Element menschlicher Wahrnehmung und Kommunikation in den Blick. Sie haben sich mit Aspekten des alltäglichen Sprachgebrauchs und/oder Sprache und ihrer kommunikativen Potenziale beschäftigt und diese in unterschiedlichen Ausdrucksformen (typo)grafisch und kritisch reflektiert. Aspekte aktueller Debatten über die strukturelle Macht von Sprache, sprachkritische Maßstäbe oder die Durchsetzung diskriminierungsfreier Sprache sind auf unterschiedliche Weise in ihre Werke eingeflossen. Daneben haben die Stipendiat*innen den experimentellen Umgang mit Verbal- und Schriftsprache erprobt und ihre Werke aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen heraus entwickelt. In der Ausstellung „LINGUISTIC XPEDITION“ nahmen Wörter und das Medium Sprache höchst unterschiedliche Formen und Dynamiken im Ausstellungsraum an. Die Stipendiat*innen präsentierten mit ihren Arbeiten dezidiert unterschiedliche Zugänge und Funktionsweisen.

Fresh A.I.R. lebt aber nicht nur von der Energie der eingeladenen Künstler*innen, sondern auch vom Engagement zahlreicher Kooperationspartner*innen, die uns auf verschiedensten Ebenen des Projekts unterstützen. Beispielsweise hat Fresh A.I.R. in diesem Jahr finanzielle und organisatorische Unterstützung von der Hans und Charlotte Krull Stiftung erhalten. Mit großem Engagement hat diese eine Kooperation initiiert, wodurch wir die zwei ukrainischen Kunstschaffenden Katya Craftsova und Apl315 ins Programm aufnehmen konnten. Beide haben Berlin auf unterschiedliche Weise durchdrungen. Apl315 hinterließ zuletzt im September 2023 mit einer Wandgestaltung im Rahmen des One Wall-Projekts an der Ecke Stargarder Straße/Schönhauser Allee einen bleibenden Eindruck im Bezirk Prenzlauer Berg. Mit beteiligt am Auswahlprozess der beiden waren die internationale NGO Artists at Risk (AR) in Partnerschaft mit dem Goethe-Institut. Der 8. Fresh A.I.R.-Jahrgang wurde zudem von Studierenden des Instituts für Kunst und Kunstpädagogik der Universität Osnabrück begleitet. Im Rahmen des Seminars „Schreiben über Kunst“ unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Kaesbohrer erarbeiteten Studierende zusammen mit Fresh A.I.R. Ausstellungs- und Showcase-Texte für die Kunstprojekte der Stipendiat*innen.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leser*innen, nun viel Freude bei der Erkundung der künstlerischen Arbeiten unseres achten Jahrgangs.

Janine Arndt
Künstlerische Leitung


Fresh A.I.R. #8 Online-Showcase

Anastasia Stročkova

Frei von Schrift und Symbolen visualisiert die Künstlerin verschiedene Arten der Kommunikation und die daraus entstehenden Situationen. Sie stellt dabei in ihren Werken die Machtgefälle, Komplikationen, aber auch die schönen Aspekte der kommunikativen Interaktion mithilfe unterschiedlicher Medien dar.

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Apl315

Verschiedene Realitätsebenen in visuelle Zeichen zu übersetzen, ist charakteristisch für das Werk des ukrainischen Künstlers. Palimpsest-artig werden Bedeutungsschichten auf seinen Bildern sichtbar. Derart überträgt er künstlerische Verfahrensweisen, die er als Graffiti-Writer entwickelte, auf die Leinwand.

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Chlepa

Durch Zusammenarbeit und die Verschmelzung Ihrer Stile und Techniken haben Chlepa zu einer neuen gemeinsamen visuellen Sprache gefunden. Künstlerischer Ausdruck dieser Synergie sind ihre neun Künstlerboxen.

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Dana Venezia

In ihrem Projekt thematisiert die Videokünstlerin die Suche nach der eigenen Identität im Kontext von Genderkonstruktionen. Hierbei unterscheidet sie zwischen Aufnahmen zu männlichen Identitäten in Zeiten des Wandels und ihrer persönlichen Suche nach einer spezifisch weiblichen Perspektive.

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Diana-Elena Păun

Was machen Fake News, Propaganda und Verschwörungserzählungen mit uns, unserem sozialen Miteinander und wie können wir ihnen etwas entgegensetzen? In ihrem Projekt setzt sich die Künstlerin Diana Păun mit Phänomenen unserer postfaktischen Gegenwart auseinander.

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Katya Craftsova

Craftsovas Arbeit ermöglicht eine spielerische Annäherung an das vielschichtige Thema der Wohnungssuche in Berlin. Auf der abstrakten Ebene von Spielkarten werden das Private und das Öffentliche, Politikebenen und individuelle Erlebnisse miteinander verschränkt.

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Marjolein Guldentops

Guldentops legt in ihren Zeichnungen den Fokus auf konstruierte Wortspiele und verwandelt Nomen in Verben, um die Betrachter*innen zum Nachdenken über ihr eigenes Dasein und Handeln anzuregen. Derart untersucht sie die Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt.

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Oana Maria Pop

In ihrem aufrüttelnden Projekt beschäftigt sich die Künstlerin eingehend mit der Schnittstelle zwischen Sprache, Missbrauch von Frauen und der visuellen Darstellung von Trauma.

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Rita Ferreira

Mit ihrem einfühlsamen audiovisuellen Projekt erschafft Rita Ferreira ein alternatives Archiv und eine alternative Kartografie Berlins und vermittelt so Migrationserfahrung.

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Tanel Rander

In seinem Werk lotet Tanel Rander den Zusammenhang von Sprache, Fremdherrschaft und eigener Identität aus. Videos und Zeichnungen sowie gestaltete Buchcover sind Teil seiner künstlerischen Auseinandersetzungen mit seiner eigenen Geschichte und der Geschichte Estlands.

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Zuzanna Odolczyk

Die Künstlerin arbeitete an einem illustrierten Soundtrack Berlins. Mit ihrer Arbeit macht sie Berlin aus einer anderen Perspektive erfahrbar und präsentiert die Schönheit und den Charakter der Stadt audiovisuell.

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Fresh A.I.R. #8 – Allgemeine Informationen

Die zwölf Künstlerinnen und Künstler aus acht europäischen Ländern des 8. Fresh A.I.R.-Jahrgangs haben sich zehn Monate lang dem diesjährigen Thema LINGUISTIC XPEDITION gewidmet. Sie untersuchten den Sprechakt als konstitutives Element menschlicher Wahrnehmung und Kommunikation.

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