Apl315

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Verschiedene Realitätsebenen in visuelle Zeichen zu übersetzen, ist charakteristisch für das Werk des ukrainischen Künstlers Apl315. Palimpsest-artig werden Bedeutungsschichten auf seinen Bildern sichtbar. Derart überträgt Apl315 künstlerische Verfahrensweisen, die er als Graffiti-Writer im öffentlichen Raum entwickelte, auf die Leinwand. Sichtbar werden sowohl verschiedene Zeitebenen als auch verschiedene Orte, die auf der Leinwand zusammengeführt werden.

Auf einem seiner Gemälde erinnert der Künstler an eine populäre ukrainische Popsängerin, die nun auch im Exil lebt. Er schreibt einen ihrer Liedtexte auf die Leinwand und setzt dann in einer flächigen Malweise eine drohnenförmige Figur über die gesamte Breite des Bildes. Zum einen erinnert die Drohne an den russischen Angriffskrieg in der Heimat des Künstlers. Zum anderen kann mit der schwarzen Figur auch ein bedrohliches Insekt assoziiert und eine Brücke zu Apls Interesse an Entomologie geschlagen werden. Inhaltliche Überschneidungen werden hier nicht zufällig augenscheinlich, unerwartete Angriffe aus der Luft machen sowohl Darstellungen von Drohnen als auch von Insekten nachvollziehbar.

In elf Sprachen ist auf einem weiteren Gemälde mit dem Titel „Catacomb#4“ der Satz „Nach uns die Sintflut“ in roter Schrift zu lesen. Auf der Ebene darunter sind in schwarz auf gelbem Grund Zeichen der neolithischen Trypillia-Kultur dargestellt, die auch auf dem Gebiet der heutigen Ukraine ansässig war. Die dominante Ebene im Vordergrund wird von einem deckend weißen Trysub gebildet. Der Dreizack ist das dominierende Zeichen in der ukrainischen Heraldik, es findet sich auf Wappen und Flaggen, auf Briefmarken, Münzen und Geldscheinen. Seit dem russischen Angriffskrieg steht der Dreizack für die ukrainische Unabhängigkeit, als Symbol eines nationalen Zusammenhalts und für den Siegeswillen.

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In Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum rund um die Bülowstraße skizziert Apl315 in seinem Gemälde „Strum2023“ einen Wassergott des Nickelmannbrunnens am U-Bahnhof Nollendorfplatz. Diese Figur als Hintergrund kombiniert er mit den Icons aller europäischen Zuggesellschaften sowie mit Zugnummern. Dieses Zeichensystem auf den Waggons verweist auf deren Reisen, auf die Anfänge und Enden ihrer Routen. Werden die Abteile mit Graffiti versehen, werden sie zu mobilen Ausstellungsflächen, die auf ihren Reisen von einem breiten Publikum rezipiert werden. Dominiert werden diese beiden Bildebenen von einer alles überlagernden Drohnengranate, unter deren Armen rechts und links rote Farbfelder mit herablaufender Farbe Blut assoziieren lassen.

Auf einem großformatigen Mural im Stadtteil Prenzlauer Berg dokumentierte der Künstler historische Graffiti, die mit Kohle an die Wände der Katakomben in Odessa gezeichnet wurden, und bringt sie aus dem dunklen Untergrund ans Licht der Öffentlichkeit des Berliner Stadtraums. Die Katakomben Odessas dienten seit dem 19. Jahrhundert als Zufluchtsstätten, als Versammlungsorte, und es ranken sich viele Geschichten um das dortige Geschehen. Auf einer Hauswand Ecke Stargarder Straße/Schönhauser Allee werden die gegenwärtig durch die Bombenangriffe bedrohten Zeichen mit schwarzer Farbe für Passanten nun auf einem gelben Untergrund miteinander verbunden. Zu sehen ist die Verwobenheit von rätselhaften Tier-Mensch-Wesen, Kalligrafien und Szenen der sozialen Interaktion. Mit diesem weit verzweigten Gewebe aus Figuren und Zeichen macht der Künstler verschiedene historische Schichten Odessas präsent und zugänglich. In seinem Berliner Mural überlagert Apl Zeitschichten, historische Ereignisse, den unterirdischen und den oberirdischen Stadtraum sowie die Städte Berlin und Odessa.

Text: Dr. Silke Förschler


Apl315

Biographie
Apl315 (geb. 1986 in Odessa, Ukraine) hat in den frühen 2000er Jahren als Graffiti-Writer begonnen und hatte bis heute zahlreiche Einzelausstellungen in der Ukraine und im Ausland. Seine Ausbildung ist der Schlüssel zum Verständnis der individuellen Strategie des Künstlers: Als professioneller Entomologe, der an der Abteilung für wirbellose Tiere der Staatlichen Universität Odessa ausgebildet wurde, erforschte er die organische Ästhetik und schuf Bilder, die aus der Ferne wie die Silhouetten von Insekten aussehen. Während seiner kontinuierlichen Arbeit auf der Straße begann Apl315, sich auf neues Terrain zu begeben und wandte sich den Post-Graffiti-Praktiken zu. In der zweiten Hälfte der 2010er Jahre begann er, alternative Medien zu verwenden, um neue Werke zu schaffen. In interdisziplinären Kunstprojekten verbindet der Künstler seinen enzymatischen Hintergrund mit der neu erworbenen Leidenschaft für archäologische Suche und Metalldetektion. In seinem Fall wird der Metalldetektor zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel, da die meisten seiner neueren Kunstwerke aus Objekten zusammengesetzt sind, die er auf der Straße, am Strand oder in Parks gefunden hat. Alte Münzen und verrostete Dosen erzählen die Geschichten vergangener Tage und verweisen auf das klassische barocke Vanitas-Genre, das sich auf die Vergänglichkeit des Lebens konzentrierte. Seine jüngsten Projekte sind den Kriegsgebieten in der Ukraine und auf dem Balkan gewidmet. In groß angelegten Multimedia-Installationen stellt er Fragen über die Zerbrechlichkeit der heutigen Ökosysteme und deckt tiefe historische Traumata Ost- und Südmitteleuropas auf.

Instagram: @apl315_

Webseite: apl315.info

Der Aufenthalt bei Fresh A.I.R. wurde gefördert durch ein Sonderstipendium Hans und Charlotte Krull Stiftung.