Chlepa

Symbolic Symbiosis

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Nahezu sämtliche Aspekte des polnischen Künstlerduos Chlepa, bestehend aus Klementyna Epa und Anna Chlebowska, sind miteinander verwoben und durchmischt. Die Haarfarben, Techniken und Sprachen wirken wie perfekte Ergänzungen und Kontraste zueinander, während ihre Illustrationen und Drucke zu einer neuen, aber eigenartig vertrauten Kunstform verschmelzen. Epas Kreaturen und Protagonisten verdrehen und kräuseln sich ineinander, als würden sie die verworrenen Gedanken ihrer Schöpferin nachahmen. Chlebowskas Künstlerbücher daneben werden sowohl zu einem Zufluchtsort als auch zu einer Reliquie und sind weniger Schachteln als vielmehr miniaturhafte Rätsel. Aus diesen Kombinationen und Symbiosen resultiert ihr Beitrag zum 8. Jahrgang von Fresh A.I.R., dem Chlepa Codex. Eine Sammlung von neun Schachteln, gefüllt mit mehrdeutigen und symbolischen Überresten und Fragmenten gewobener Erzählungen. Ihr Projekt zielt nicht nur darauf ab, das kommunikative Potenzial ihrer neuen Schriftzeichen zu erkunden, sondern auch die verschiedenen Beziehungsaspekte zwischen den Künstlerinnen selbst.

Im Rahmen des Chlepa Codex‘ erforschen die Künstlerinnen die Sprache anhand kulturell vereinbarter Konventionen. Seit der Antike wird in vielen Disziplinen über die Verbindung zwischen Sprache und Wahrnehmung debattiert. Bereits im Humanismus wurde die Idee vorgebracht, dass Sprache einen Einfluss auf unser Denken hat und spätestens mit der Sapir-Whorf- Hypothese ist die Idee der sprachlichen Relativität auch in der weiteren Öffentlichkeit angekommen. Diese Hypothese der sprachlichen Relativität stellt fest, dass die Grammatik einer beliebigen Sprache nicht bloß Ideen reproduziert, sondern selbst Gedanken formen und anleiten kann. Konsequent weiter gedacht konstituiert sich so eine Realität, in der keine objektive Welt mehr besteht, sondern die Wahrnehmung jeder sprechenden Person den spracheigenen Strukturen unterworfen ist. Das kann dann in konkreten Beispielen zahlreiche Bereiche der Wahrnehmung betreffen: hat eine Sprache zum Beispiel ein besonders ausgeprägtes grammatisches System oder Vokabular zur Lokalisierung anhand von Himmelsrichtungen, scheint das Orientierungsvermögen relational zu steigen. Sprache beeinflusst Denken. Und auch die Wirkung, die Kunst als Kommunikationsmittel auf unsere Wahrnehmung hat, lässt sich von jeder kunstbegeisterten Person bestätigen. Letztlich scheint besonders einer von Whorfs weniger diskutierten Punkten einen wertvollen Gedanken auch für die bildende Kunst zu enthalten. So ist es gerade die Auseinandersetzung mit der Linguistik, der eigenen Sprache und deren Grammatik, die es nach Whorf ermöglicht, die eigene Kognition zu durchschauen.

Video: YES, AND… productions GmbH & Co. KG

Chlepa fragen nun ihrerseits danach, was mit der Bedeutung innerhalb einer Sprache geschieht, die praktisch nicht zu entschlüsseln ist? Hat Sprache eine Bedeutung jenseits dessen, was wir zulassen und erzwingen, was sie bedeutet? Das Duo bietet eine Antwort auf diese Fragen: Wenn von Sprache nur ihre symbolische, imitierende Natur übrigbleibt, wird ihre Bedeutung zu einer gemeinschaftlichen Anstrengung kontinuierlicher und individueller Interpretation. Obwohl bewusst mehrdeutig und für Interpretationen offen, verarbeiten beide Künstlerinnen ihre eigenen Kämpfe und Beziehungen in ihrer Arbeit. „Es geht um uns, aber genauso sehr um jede einzelne Person, die mit uns interagiert“, sagt Epa und erfasst damit die Synergie, die das gesamte Projekt durchdringt.

Epa und Chlebowska streben nicht nur danach, Erfahrungen und Interpretationen in ihrer Arbeit zu verbinden, sondern verschmelzen scheinbar zufällig widersprüchliche Aspekte ihrer Arbeit bei jeder Wendung. Zunächst mussten ihre Absichten für das Projekt vereint werden. Mit ihrer sich ändernden Umgebung mussten sie ihre gesprochenen Sprachen navigieren. Beide Frauen beherrschen drei Sprachen sowie ihre eigenen visuellen Sprachen. Arbeitsmethoden und Strategien mussten angepasst werden. Obwohl Klementyna und Anna sich auf dieselben Bereiche spezialisieren, sind ihre Techniken genauso einzigartig wie ihre visuellen Sprachen, und diese mussten miteinander in Einklang gebracht werden, gefolgt von ihren Materialien. Der Chlepa Codex wird dementsprechend zu einem Artefakt, das kollektiv konstruiert wurde und individuell entschlüsselt werden muss.

Text: Liza Riedemann


Chlepa

Klementyna Epa und Anna Chlebowska sind Illustratorinnen, Grafikerinnen und Künstlerinnen aus Polen. Sie arbeiten gemeinsam unter dem Pseudonym Chlepa. Ihr Hauptinteresse gilt der künstlerischen Auseinandersetzung mit Problemen der heutigen Gesellschaft – entweder mit einem direkten Kommentar in Form von Illustrationen oder als Antwort in einer abstrakteren Form. Klementynas frühere Arbeiten handeln hauptsächlich von einem Individuum, das in einen beunruhigenden sozio-politischen Kontext
eingebettet ist, während es gleichzeitig aus den eigenen Erfahrungen schöpft; Annas frühere Arbeiten befassen sich mit den Beziehungen zwischen Mensch und Natur, dem Konzept der Landschaft und den Auswirkungen des Klimawandels auf unser Wohlbefinden.

Instagram: @klementyna.epa, @a.h.chlebowska

Portfolios: Klementyna Epa, Anna Chlebowska