Fresh A.I.R. Ausstellung

Fresh A.I.R. #4
Stipendiat*innenausstellung

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Auch im Jahr 2020 hat die Stiftung Berliner Leben wieder elf Stipendien an Künstler*innen aus verschiedenen europäischen Ländern vergeben. Mit dem Fresh A.I.R.-Programm fördert sie seit 2018 künstlerische Projekte, die sich mit aktuellen Themen des städtischen Lebens auseinandersetzen. Während des Bewerbungsverfahrens für den vierten Jahrgang ahnte allerdings noch niemand, welche Herausforderungen im Jahr 2020 auf die Welt und damit auch auf die Künstler*innen zukommen würden. Glücklicherweise konnten alle elf Künstler*innen, die für den vierten Fresh A.I.R.-Jahrgang ausgewählt worden waren, nach Berlin reisen. Im Oktober bezogen sie die Residenzwohnungen in Berlin-Schöneberg, um sich sechs Monate lang ihren künstlerischen Projekten zu widmen.

Es kann nicht oft genug erwähnt werden, dass die Situation für fast alle Kunst- und Kulturschaffenden in der Corona-Pandemie weltweit noch prekärer geworden ist. Die Ausbreitung von Covid19 hat für Kunst und Kreativität aber noch weitere Folgen. Auch die Fresh A.I.R.-Stipendiat*innen waren davon nicht ausgenommen. Als sie im Oktober in Berlin ankamen, begaben sie sich zunächst für zwei Wochen in häusliche Isolation. Anstatt sich mit den anderen Künstler*innen zu treffen und auszutauschen, Museen und Galerien zu besuchen oder sich Kooperationspartner*innen zu suchen, waren sie erstmal auf sich allein gestellt. Keine Situation, in der Kreativität einfach so entsteht oder in der sich neue Gedanken automatisch entwickeln. Weiterhin waren viele der Projekte direkt von dem Lockdown und den Beschränkungen des sozialen Lebens betroffen. Teilnehmende für Projekte zu finden war wesentlich schwieriger und teilweise leider schlichtweg nicht möglich. Hinzu kommt, dass es in Zeiten, in denen die Rede über Viren, Mutationen, die Verteilung von Impfstoffen, wirtschaftliche Folgen usw. den öffentlichen Diskurs dominiert, schwer ist, sich auf andere Themen zu konzentrieren und diese mit dem gewohnten Elan zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund ist es umso bewundernswerter, mit welchem Engagement die diesjährigen Stipendiat*innen ihre Projekte umgesetzt haben.

Die Künstler*innen des 4. Fresh A.I.R.-Stipendienjahrgangs stellen sich vor.

Die Interessen des vierten Fresh A.I.R.-Jahrgangs sind wie jedes Jahr vielfältig und kreisen doch um ein zentrales Thema. Und zwar um die Frage, wie ‚wir‘ als Menschen uns gegenwärtig ins Verhältnis zur ‚Welt‘ setzen. Dieses breit formulierte Thema wird von den Künstler*innen unterschiedlich interpretiert und zugespitzt. Viele der diesjährigen Fresh A.I.R.-Stipendiat*innen befassen sich mit dem Verhältnis zur Natur oder zu dem, was als Natur gilt. Sie machen mit ihrer Kunst auf die Klimakatastrophe aufmerksam und entwerfen Lösungen oder Modelle, wie mit der zunehmenden Umweltverschmutzung und dem Müllproblem umgegangen werden könnte. Andere fragen danach, wo sich ‚Natur‘ auch in der Stadt finden lässt, wo sie sich zum Beispiel in Form von Pflanzen einfach ansiedelt oder wo sie mit der Anlage von Parks und Grünflächen imitiert wird. Auch die Aufmerksamkeit für Materialität und besonders für organische Stoffe rührt von diesem wiederentdeckten Interesse an ‚Natur‘ und natürlichen Stoffen. Das Verständnis von ‚Natur‘ ist dabei aber alles andere als ein romantisches, vielmehr werden tradierte Unterscheidungen von Natur und tierischen Lebewesen einerseits und Kultur und menschlichen Organismen andererseits in Frage gestellt und versucht zu konterkarieren. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dabei auch das Verhältnis zum eigenen Körper und der Vorstellung vom eigenen ‚Selbst‘ wieder in die Aufmerksamkeit rückt.

Das Verhältnis von Menschen untereinander bleibt – auch unabhängig von Corona – ein Dauerthema. Dabei interessiert vor allem, was die Individuen einer Stadtbevölkerung trotz augenscheinlicher Unterschiede im Kern miteinander verbindet oder wie eine gerechte Partizipation in der Stadt erreicht werden kann. Mit ihren Projekten mischen sich die Künstler*innen in Debatten um Teilhabe und Inklusion ein. Und sie lassen darüber nachdenken, wer ausgeschlossen bleibt. In den Blick nehmen die Künstler*innen mit ihren Projekten fast immer den städtischen Kontext, den sogenannten urbanen Raum, seine Aufteilungen, seine verschiedenen Erscheinungsbilder, aber auch die Wege, die die Stadt vorgibt oder ermöglicht.

Medien spielen in vielen dieser Verhältnissetzungen und Zugangsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Film und Fotografie dienen oft als Analyseinstrument, mit denen Umwelt und Umgebung beforscht werden. Aber auch Zeichnungen und Skulpturen finden Verwendung, wenn es darum geht, Berlin anders zu betrachten. Erprobt werden so zum Beispiel neue Perspektiven auf Wohnarchitektur oder auch auf das Leitsystem der Berliner U-Bahnstationen. Mit künstlerischen Methoden wird der Spaziergang durch die Stadt ein visuelles Erlebnis, das man auch selbst nachahmen kann. Oder die Zeichen, Wegweiser und Grundrisse von U-Bahnstationen fangen an zu tanzen und lassen alltäglich genutzte Durchgangsorte auf einmal nicht mehr nur unwirklich und ortlos, sondern wie ein fantastisches Labyrinth erscheinen.

Und so gelingt es den künstlerischen Projekten des vierten Fresh A.I.R.-Jahrgangs erneut, reichhaltige Überlegungen und Gedanken anzustoßen oder Beispiele für kreatives und wildes Denken zu geben, das gerade in Zeiten der Kontakt- und Ereignisarmut so nötig ist. Es ist dabei von unschätzbarem Wert, dass die Digitalisierung und das Internet nun die Möglichkeit eröffnen, die erstellten künstlerischen Arbeiten in einem Online-Showcase zu zeigen. Schon im letzten Jahr haben wir diese Chance der Digitalisierung genutzt und konnten so ein breites Publikum erreichen.

Die Möglichkeiten, die diese mediale Form der Vermittlung bietet, sind vielfältig. So können mit Fotografien beispielsweise einzelne Stadien des künstlerischen Prozesses gezeigt werden. Verleugnen wollen wir an dieser Stelle aber nicht, dass das Medium Internet bzw. der digitale Raum auch seine Grenzen hat. Viele der entstandenen Kunstwerke sind eigentlich dafür gedacht, in einem analogen und realen Raum betrachtet und erlebt zu werden. Sie benötigen für ihre Wirkung die physische Begegnung mit den Betrachtenden, die sich im Ausstellungsraum frei bewegen und mit allen Sinnen wahrnehmen können. Aber der Ideenreichtum der im Online-Showcase gezeigten Projekte wird sich sicherlich auch auf die Imaginationskraft der Besucher*innen des virtuellen Ausstellungsraumes übertragen. Wir sind sehr glücklich, alle Projekte im Folgenden präsentieren zu können und wünschen Ihnen, liebe Besucher*innen, viel Freude bei der Erkundung der künstlerischen Arbeiten unseres vierten Fresh A.I.R.-Jahrgangs.

Janine Arndt – Künstlerische Leitung


Fresh A.I.R. #4 Online-Showcase

Alexis Dworsky

Alexis Dworsky

In seinem Projekt „Braille_Style“ wirbt der Künstler für mehr Teilhabe und Zusammenhalt in urbanen Gesellschaften. Mit „Urbanit“ legt er wortwörtlich die Vielschichtigkeit von Graffiti frei.

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Danny Vines Fresh A.I.R.

Danny Vines

In experimentellen Arbeiten aus Brot und Zucker erforscht der Künstler die Verbindung zwischen somatischer Erinnerung und der eigenen physischen Vergangenheit über die Formensprache figürlicher Skulpturen.

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Felicitas Fäßler Künstlerin Fresh A.I.R.

Felicitas Fäßler

Wohin kommen die Reste unseres Wohlstands, wenn sie aus unserem Blick verschwinden? „On uneven ground“ bearbeitet mit einem Augenzwinkern ein drängendes Problem unserer Zeit: wilde Mülldeponien am Stadtrand.

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Guilia Berra Künstlerin Porträt

Guilia Berra

Ihre Projekte bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Urbanität und Natur. Berra lässt unter anderem in Berlin-Schöneberg Pflanzen wachsen und verarbeitet damit auch ihre Emotionen in Bezug auf die Pandemie.

zum Projekt
Marc Samper Fresh A.I.R. Porträt

Marc Samper

Samper überträgt das uralte System des japanischen Haiku auf das Video-Medium. Seine Installationen widersprechen gewollt der Lautstärke und dem visuellen Überfluss der globalisierten Stadtkultur.

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META-colectivo (Adriana Tamargo & Guillermo Escribano)

META-colectivo

Mit Skulpturen aus organischen Abfällen wird die Zweiteilung von Mensch und Natur gezielt aufgelöst. Ihr Entstehungsprozess erprobt neue Formen der Zusammenarbeit mit ungewohnten Protagonisten.

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Mots Diogo Ruas Jagoda Cierniak

Mots

Persönliche Gegenstände mit Geschichte bilden den Ausgangspunkt dieses partizipativen Projekts. Übersetzt in eine abstrakte Formensprache können diese Objekte aber als verbindende Elemente fungieren.

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Poppy French Künstlerin Fresh A.I.R.

Poppy French

Im Zuge des Projekts wurden 150 Berliner U-Bahnhöfe als besondere Transiträume erforscht. Ihre Rhythmen und Klänge verbinden sich zu einer Melodie und Choreografie, die denen vertraut ist, die dort verkehren.

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Valeriana Berchicci Porträt

Valeriana Berchicci

Sogenannte Citywalker dokumentieren ihre Eindrücke auf ihrer spontanen Route. Detailaufnahmen der Stadtansichten werden zu Malereien und Skulpturen. Ein Projekt, dass zum Nachmachen einlädt.

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