Danny Vines Parallax

Danny Vines

Parallax“ (2021)

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Der Hypothese vom Körpergedächtnis folgend, absorbiert der menschliche Körper die Traumata unserer sich ständig verändernden sozialen Erfahrungswelten. Unsere Interpretationen vergangener Ereignisse können unbewusst unsere Körperfunktionen, Gedanken und Verhaltensweisen beeinflussen. Die von Danny Vines während seines Fresh A.I.R.-Stipendiums entwickelte Arbeit untersucht, wie wir unsere Vergangenheit verarbeiten und erforscht den emotionalen, physischen und psychologischen Einfluss, den sie auf uns sowohl insgesamt als auch im Einzelnen haben kann.

Der Begriff Parallax beschreibt ein Wahrnehmungsphänomen, dass unsere Gewissheit darüber in Frage stellt, wie wir die Welt sehen und wahrnehmen. Vines‘ Arbeit verwendet in diesem Sinne fragmentierte und verzerrte menschliche Formen, um die vielschichtige Verkettung von Wahrheiten und Fiktionen zu untersuchen, die mit den Erinnerungen, die wir hegen, verknüpft sind. Die Werke bewegen sich zwischen privaten Momenten – auf das eigene Selbst bezogen oder in Interaktion mit Anderen –  und beschäftigen sich mit Vorstellungen von emotionaler Intimität und der körperlichen Beziehung zur eigenen Vergangenheit.

Die figürlichen Skulpturen aus Brot und Zucker gehen auf die Suche nach der Verbindung zwischen somatischer Erinnerung und dem physischen Körper als emotionalem Zentrum. Sie betrachten Erinnerungen und Emotionen als Überbleibsel, sowohl über als auch zwischen Körpern. Und sie tun dies, indem sie durch ihre besondere Materialität sprechen. Aus frisch gebackenem Brot bestehende Arbeiten eröffnen den Zugang zu Themen wie Notwendigkeit, Klasse, Häuslichkeit und Vergänglichkeit. Experimentelle Zucker-Gussarbeiten und eine adaptierte Version der viktorianischen Zuckerplastik verweisen auf den toxischen und süchtig machenden Effekt von Zucker, aber auch auf die beruhigende Wirkung sowie seine Bedeutung für die chemische Konservierung. Alle Werke mit ihren Aushöhlungen, Verfärbungen und großen Rissen verkörpern die Idee einer physischen Vergangenheit, die weit unter die Hautoberfläche vordringt.

Vines fokussiert sich auf den Umgang mit ephemeren Materialien, die den Verfall und die Zersetzung fördern und das Potenzial haben, sowohl die Zuverlässigkeit der Erinnerung als auch das unbewusste Hinzudichten offenzulegen. Die Verbindung von möglicher Wahrheit und Fiktion in seinen Arbeiten ist zugleich das Bestreben des Künstlers, sich mit der Körperhaftigkeit einer Vergangenheit auseinanderzusetzen, die der Verstand erfinden, bewahren, unterdrücken, verleugnen oder vergessen kann.

Anstelle des Versuchs, ein Heilmittel für mögliche unangepasste Denk- und Verhaltensmuster zu finden oder eine Version positiver Ereignisse zu präsentieren, bringt Vines stattdessen die emotionalen Scherben der Erinnerung an die Oberfläche, um sie als verkörperte, situierte, angewandte und ortsspezifische Wege der Selbsterkenntnis zu begreifen und zu zeigen, wie sie sich durch ständige Wiederholung verformen und neu bilden.

Text: Synopsis des Künstlerstatements (aus dem Englischen)


Danny Vines – Werkserie aus dem Projekt „Parallax“ (2020/21) | Foto: Victoria Tomaschko


Über Danny Vines

Als interdisziplinärer Künstler arbeitet Danny Vines, geboren 1986 in Manchester, England, vorwiegend in den Bereichen Skulptur, Video und Performance. In seiner Praxis verarbeitet er die menschliche Gestalt und verweist darin auf entfernte und manchmal alles verzehrende mentale Muster und Verhaltensweisen, in denen man sich gewohnheitsmäßig verfangen kann. Mit einem Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit dem Material und der Verwendung weggeworfener Objekte von den Straßen der Stadt, verhandeln seine Arbeiten die Grenzen der skulpturalen menschlichen Form und konvergiert an der Grenze zwischen Emotion und Verhalten, verkörperter Aktion und künstlerischem Ausdruck.

weitere Informationen zum Künstler: Instagram


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