Felicitas Fäßler Kunstwerke

Felicitas Fäßler

„on uneven ground” (2020/2021)

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Der Titel von Felicitas Fäßlers künstlerischem Projekt on uneven ground (Auf unebenem Grund) bezeichnet sprichwörtlich einen Boden mit Unwuchten. Auf metaphorischer Ebene lässt er eine instabile Situation assoziieren, die Gefahren birgt. Beide Bedeutungen treffen auf den Ausgangsort ihrer künstlerischen Forschung zu: illegale Mülldeponien im Umland von Berlin. Gefährlich sind die Effekte, die die toxischen Verschmutzungen nicht nur für die haben, die dort leben, sondern letztlich für den gesamten Kontinent.

Felicitas Fäßler – „on uneven ground“ (2020/21) | Video: YES, AND… productions GmbH & Co. KG

Ein wesentlicher Stoff, den Fäßler auf den widerrechtlichen Halden gefunden hat, ist Styropor. Verwendet wird der geschäumte Kunststoff (Polystyrol) meist als Dämm- oder Verpackungsmaterial. Da er leicht, wasserabweisend sowie kostengünstig herzustellen ist und weder Wärme noch Elektrizität leitet, wird er von vielen hoch gelobt. Andere kritisieren, dass Styropor im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen und zwar zerfällt, aber nicht biologisch abbaubar ist. Seine Beständigkeit hat vermutlich jede*r schon einmal bewundern können: Im Meer, auf verlassenen Brachen oder anderen Orten, an denen sich Zivilisationsmüll wiederfindet, sind fast immer auch Brocken des weißen Schaumstoffs zu sehen. Fäßler hat Styroporfragmente gefunden, auf denen sich bereits Moos angesiedelt hat. Sie hat sie mit Insektennadeln aufgespießt, vor neutral grauem Hintergrund präsentiert und fotografiert. So bilden sie ästhetisch reizvolle Objekte, die virtuell wirken, aber zugleich auch materiell sind. Sie scheinen ortlos ebenso wie verwurzelt zu sein. ‚Moos ansetzen‘ bedeutet umgangssprachlich ‚alt werden‘, hier verweist es auf die für die Umwelt verheerende Beständigkeit des Materials. Die Pflanzen umwuchern die körnigen Teilchen, gehen mit ihnen eine Art Symbiose ein. Settlement (Siedlung) hat Fäßler ihre Objekte genannt. Sie stößt die Betrachtenden damit auf ein Phänomen, das zunächst irgendwie heimelig anmutet, aber dabei etwas im Alltag Verdrängtes aufzeigt, das höchst beunruhigend sein sollte.

In Fäßlers künstlerischer Praxis geht es nicht darum, naiv an die Anpassungsfähigkeit ‚der Natur‘ zu glauben und darin eine Schönheit zu bewundern. Vielmehr lässt sie uns überkommene Vorstellungen befragen, etwa die Annahme, wir könnten als Menschen die Natur beherrschen. Und sie macht auf etwas aufmerksam, was meist unsichtbar und ungesehen bleibt. Mit ihrer Arbeit Camo wird das pointiert deutlich – auf ein Tarnnetz hat sie die Fotografie einer illegalen und mit Gras überwucherten Müllkippe gedruckt. Das übliche Camouflage-Muster, das im militärischen Kontext etwas verstecken soll, wird durch eine Aufnahme ersetzt, von der man sich ebenfalls täuschen lassen könnte. Der zu sehende Boden ist keine ungemähte Wiese, sondern Abfall, über den Pflanzen gewachsen sind. Durch die doppelte Unsichtbarkeit rückt die ignorierte Gefahr in den Blick.

Die Arbeit Konglomerat nimmt sich dagegen als eine Idee aus, um weggeworfene Materialien weiter zu nutzen. Die von der Künstlerin selbst hergestellten Objekte gleichen auf den ersten Blick den seit der Antike beliebten Terrazzoplatten. Anstelle des üblichen Natursteins, der als Zuschlag zu Beton (früher noch Kalk) verwendet wird, hat die Künstlerin zu zwei Dritteln Plastikstückchen und andere kleine bunte Teilchen genutzt. Materialien, die sie ebenfalls auf den besagten Müllhalden gefunden hat. Erst gegossen, dann geschliffen und poliert ist das Ergebnis ästhetisch äußerst attraktiv.

Die Graphik Imprint zeigt das 3D-Bild eines Autoreifens. Erkennbar, wenn auch in der Darstellung abstrakt, ist das Profil, mit dem dieser direkte Spuren auf dem Fahrweg hinterlässt. Spuren oder Abdrücke hinterlassen Autoreifen jedoch auch darüber hinaus. Fäßler hat zahlreiche von ihnen auf den illegalen Müllkippen gefunden.

Künstlerische Arbeiten wie diese bringen den Abdruck, den die Zivilisation auf der Erde hinterlässt und deren verheerende Auswirkungen heute spürbar sind, in die Aufmerksamkeit. Dass Fäßlers Objekte und Bilder optisch äußerst attraktiv sind, während sie gleichzeitig auf Themen wie Umweltverschmutzung und Klimakrise verweisen, ist dabei kein Widerspruch. Vielmehr macht diese Ambivalenz genau den Reiz aus, durch die der unebene Grund, auf dem unsere aktuelle Zivilisation gebaut ist, präsent bleibt.

Text: Kea Wienand



Über Felicitas Fäßler

Felicitas Fäßler, geb. 1989, absolvierte ein Studium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Anhand unterschiedlicher Reproduktionstechniken hinterfragt Fäßler vermeintliche Selbstverständlichkeiten, wertet mittels minimaler Eingriffe um, und verkehrt Sicherheiten in Zweifel.

Weitere Informationen über die Künstlerin: Website


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