Mural Diogo Ruas und Jagoda Cierniak

Mots

“Objectum” (2020/2021)

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Wir leben in einer Welt voller Objekte, oft einfache Werkzeuge, die uns tagtäglich begleiten. Einige dieser Dinge haben jedoch eine tiefere Bedeutung für uns, denn Sie tragen Geschichten in sich, Überzeugungen und Erinnerungen.

Ein solches Objekt ist Jagodas alte Fotokamera, die einst ihrem Großvater Ryszard gehörte. Als wir uns die Bilder ansahen, die er vor einem halben Jahrhundert damit aufgenommen hatte, fiel uns auf, dass viele davon nicht nur in besonderen familiären Momenten gemacht wurden. Immer wieder waren auch Objekte abgebildet, die der Familie zu dieser Zeit wichtig waren.

Unser Interesse an Objekten liegt nicht nur begründet in der emotionalen Kraft, die von ihnen ausgeht, sondern auch in ihren vielseitigen ästhetischen Ausprägungen. Wir haben daher begonnen, ihre Formen mit den Mitteln der Fotografie und Malerei zu erforschen.

Wir trafen und porträtierten 25 Menschen, die in Berlin leben und baten sie, mit uns ihre Geschichte über ein Objekt zu teilen, mit dem sie sich besonders verbunden fühlen. Die Fotografien wurden unter anderem mit der Zorki 4 aufgenommen, der oben erwähnten analogen Fotokamera. Die Bilder dienten als Bezugspunkt für eine gemalte Bilderserie und ein öffentliches Wandgemälde in Berlin Spandau.

Mit „Objectum“ möchten wir hervorheben, dass wir alle einander im Grunde gleichen. Was wir als „Mein Ort“, „Mein Zuhause“, „Mein Ding“ bezeichnen, ist eigentlich relativ und universell. Alle von uns können in den einzelnen Artefakten etwas finden, dass sich bekannt und gemütlich anfühlt und das Emotionen hervorruft.

Formen sind für uns ein bedeutsames Sprachwerkzeug, denn sie sind neutral und unabhängig von Herkunft oder geografischem Kontext. Abstrakte Blöcke gehen einen Schritt weiter und gestatten uns, die Welt auf unsere Art wahrzunehmen und zu verstehen. In Zeiten, in denen Menschen ermutigt werden, sich auf die Unterschiede zwischen einander zu konzentrieren, ist es unser Ziel, eine universelle Sprache zu finden und mit dieser einen einzigartigen und allen zugänglichen Raum zu erschaffen.

Aus dem Objectum-Projekt sind 25 Porträts, Gemälde sowie Indoor- und öffentliche Wandgestaltungen hervorgegangen.

Das Wandgemälde im öffentlichen Raum befindet sich in der Spandauer Obstallee 22.

Die meisten Menschen besitzen vermutlich irgendeinen Gegenstand oder ein Ding, das für sie eine besondere Bedeutung hat. Die Gründe für die Relevanz dieser Objekte sind dabei ebenso vielfältig wie deren Erscheinungsbilder und ihre jeweiligen Eigenschaften. An vielen Gegenständen hängt vermutlich eine persönliche Erinnerung oder sie haben einen hohen materiellen Wert. Manchmal ist es auch ein eher unerklärlicher Reiz, der von den privaten Schätzen ausgeht. Oft sind es genau diese Dinge, die dazu führen, dass eine Wohnung ein Zuhause wird, ein Raum ein persönlicher Rückzugsort oder eine simple Zimmerecke ein privater Schrein. Wer solch einen Ort für sich beanspruchen kann, hat – so scheint es – ein Minimum an Glück gefunden. Vielleicht ist diese oft heimlich empfundene Objektliebe (in Fachkreisen auch Objectum genannt) etwas, das alle – oder zumindest viele – Menschen verbindet.

Das Künstlerduo Mots – bestehend aus Jagoda Cierniak aus Polen und Diogo Ruas Aires aus Portugal – hat solche geliebten Gegenstände als Ausgangspunkt für ihr künstlerisches Projekt gewählt. Während des Fresh A.I.R.-Stipendiums initiierten sie ein Wandgemälde, an dessen Motiv sie Berliner*innen verschiedener Altersgruppen involvieren wollten. Nachdem die Gewobag in der Obstallee 22 in Spandau eine große Hauswand zur Verfügung gestellt hatte, suchte das Duo Personen, die bereit waren, ihnen von einem für sie wertvollen Ding zu erzählen. Sie fanden eine Reihe von Berliner*innen im Alter von fünf bis sechzig Jahren. Bei den gemeinsamen Treffen erstellte Cierniak Fotografien von den Objekten und ihren Besitzer*innen. Aus den Objekten wiederum konstruierte das Künstlerduo ihr Motiv. In der Farbgebung orientierten sie sich an den Tönen der städtischen Umgebung und versuchten mit den verschiedenen Nuancen von Lila eine angenehme, wohnliche Atmosphäre zu schaffen. Überlebensgroß und in abstrahierter Form prangen die privaten Objekte nun an der Gebäudewand und ergeben eine optisch äußerst interessante Kombination, die stilistisch zwischen Realität und Abstraktion changiert.

Mit der in Teilen realistischen, in Teilen abstrakten Ästhetik nimmt das Künstlerduo Mots eine Diskussion auf, die für die Geschichte der modernen Kunst wesentlich war und auch mit der Geschichte Berlins verschlungen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg sprach sich der Westen bekanntermaßen für die Abstraktion in der Kunst aus und behauptete damit etwas geschaffen zu haben, das universell lesbar sei und alle Menschen verbinden würde. Im Osten hielt man dagegen an einem sozialistischen Realismus fest und sah genau darin eine breit verständliche und Einheit stiftende Möglichkeit der Kommunikation. Dass beide Ansprüche sich letztlich nicht erfüllten, kann man im unlängst wiedervereinigten Berlin noch heute spurenhaft erkennen. Das Künstlerduo Mots will in dieser Frage aber keine Position beziehen. Sie negieren die Differenzen oder vermeintlichen Gegensätze zwischen den von ihnen aufgenommenen Kunststilen.

Das zentrale Anliegen des Künstlerduos ist, mit dem Wandgemälde etwas für die Personen zu schaffen, die in der direkten Umgebung leben. Indem sie an die konkreten Objektlieben der Berliner*innen appellieren und sie darüber zusammenbringen bzw. aus den Gegenständen ein großes Bild entstehen lassen, streben sie eine soziale Gleichheit und auch die Möglichkeit einer Kommunikation an, die nicht über eine Schriftsprache funktioniert. Gleichzeitig forcieren sie damit jedoch keine gleichmachende Einheit, die Unterschiede und Besonderheiten bloß subsumiert. Bewusst ist den beiden auch, dass sie ihre eigenen künstlerischen Vorstellungen und objektbezogenen Vorlieben in das Projekt einbringen. Dabei wollen sich Cierniak und Ruas Aires von den Teilnehmenden des Projektes und ihren Unterschiedlichkeiten auch herausfordern lassen. Am Ende ist ein Gemälde entstanden, in dem sich auf mehreren Ebenen eine Einheitlichkeit einstellt, die sich aber nur in den vielen verschiedenen Differenzen denken, sehen und realisieren lässt.

Mots – „Objectum“ (2020/21) | Video: YES, AND… productions GmbH & Co. KG


Über Mots

Das Künstlerduo Mots besteht aus Diogo Ruas (Portugal), Maler und Illustrator, und Jagoda Cierniak (Polen), Fotografin und Projektkoordinatorin.

In ihrer Zusammenarbeit verschmelzen ihre individuellen Ansätze, die von Diogos Erfahrung als urbanem Künstler und Jagodas Engagement in sozialen Basisinitiativen und Kunstprojekten geprägt sind.
Mots‘ Arbeit umfasst dutzende Wandbilder. Ihre Werke wurden in einer Reihe von Publikationen, auf Urban Art-Festivals und in Gruppen- und Einzelausstellungen in Portugal und im Ausland gezeigt. Die Faszination des Paares für die abstrakten und realistischen Spielräume ist in ihren Werken, die Leinwände, großformatige Wandbilder und interdisziplinäre Projekte umfassen, deutlich zu erkennen.

Weitere Informationen über das Künstlerduo: Website I Facebook I Instagram


Fresh A.I.R. #4 Online-Showcase

Fresh A.I.R. Jahrgang vier Logo

Der Online-Showcase bietet die Möglichkeit, Einblick in die unterschiedlichen, in den verwendeten Medien und entworfenen Ästhetiken extrem vielfältigen Projekte der Künstler*innen des vierten Fresh A.I.R.-Jahrgangs zu nehmen.

Zu sehen sind Video- und Bildmaterialien zu den einzelnen Projekten, denen jeweils ein erläuternder Text beigefügt ist, der die ästhetische Erfahrung zu vermitteln sucht.

zum Online-Showcase