Stephen Burke

Stephen Burke

„U-Bahnen“, 2020

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Die Bilder, die Stephen Burke mit dem schlichten Titel „U-Bahnen“ als Serie in Berlin erstellt hat, bestehen jeweils aus abstrakten, farbigen Elementen, die auf Kacheln gemalt wurden. Darüber hinaus könnte man seine Arbeiten auch als künstlerische Form der Dokumentation beschreiben. Sie dokumentieren einen Dialog, der sich in Berliner U-Bahnstationen zwischen denen ergibt, die diese mit Graffitis versehen und denen, die versuchen, die meist illegal angebrachten Bilder, Schriftzüge und Zeichen zu entfernen, indem sie sie übermalen oder mit chemischen Mitteln löschen. Das Entfernen von Graffitis wird in der Spayer-Szene als Buffing, das dadurch erzeugte neue Erscheinungsbild als Buff bezeichnet. Burke interessiert sich für diese Buffs, er sucht sie im Stadtbild auf, wählt aus, malt ab und übersetzt das Gesehene in ästhetisch reizvolle Gemälde.

Stephen Burkes Dokumentationen

Mit den abgemalten Buffs gerät eine Praxis und deren Ergebnis in den Blick, die in Großstädten eigentlich unübersehbar präsent ist, in der Aufmerksamkeit jedoch marginal bleibt. In Burkes Dokumentationen wird offensichtlich, dass ihnen eine ganz eigene Ästhetik inhärent ist. Wenn er diese Produkte sieht und sie in Gemälde überführt, entstehen zusammen mit den gekachelten Untergründen Objekte, die an abstrakte Malerei erinnern. Anders als von der künstlerischen Abstraktion lässt sich von ihnen jedoch nicht behaupten, dass sie eine originelle Künstlerschaft – die in der Tradition als männliche gilt – bezeugen könnten. Auch ergreifen Burkes Arbeiten nicht zwingend Partei für diejenigen, die meinen, Graffitis würden den öffentlichen Raum zurück erobern und jenseits tradierter Konzepte von Künstlerschaft oder der etablierten Kunst agieren. Sie fügen den Heldenerzählungen über widerständige – meist ebenfalls männlich imaginierte – Sprayer keine weiteren Ausschmückungen hinzu. Vielmehr dokumentieren sie einen Prozess, der sich im öffentlichen Raum ereignet und diesen als – vielleicht immer schon – umkämpften aufzeigt. Innerhalb der kontrovers geführten Debatte über die Zulässigkeit und Kunstfertigkeit von Graffitis, über deren politisches Potential, mit denen sie im öffentlichen Raum der Dominanz von Werbebannern etc. etwas entgegensetzen, oder auch über die Frage, inwiefern hier tradierte Konzepte vom autonomen Künstler untergraben werden, ergreift Burke in wohltuender Weise nicht eindeutig Partei. Vielmehr ist in seine künstlerische Praxis auch die Arbeit der Person eingelassen, die das Graffiti – aus welchen Gründen auch immer – entfernt hat oder entfernen musste. Offen bleibt, ob die Person die mit dem Graffiti vermittelte Botschaft aus politischer Motivation, oder z.B. im Auftrag der örtlichen Verkehrsbetriebe übermalt hat und nach welchen Kriterien sie die Reinigungsaktion ausführte.

Wenn Burke behauptet, dass die Ästhetiken der von ihm in Gemälde übersetzten Buffs je nach Ort spezifisch sind, dass ihr Aussehen von der gesellschaftlichen und politischen Realität des jeweiligen Ortes erzählt, glaubt man ihm sofort. Und doch möchte man wissen, wie sie das tun und wie sich diese Narrationen entziffern lassen. Aber solang wir diese Lesefähigkeit noch nicht erlernt haben, bleibt uns nur die Faszination, mit der wir seine Objekte betrachten können.

Text: Dr. Kea Wienand


Über Stephen Burke

Stephen Burke ist ein Künstler aus Dublin, Irland. Er entwickelte seinen eigenen Stil, nachdem er viele Jahre in der irischen Graffiti-Community unterwegs war. Stephen erhielt seinen Master in Malerei von der Glasgow School of Art im Jahr 2018 und arbeitet seitdem am Ausbau seines eigenen Studios und die Weiterentwicklung seiner akademischen Schreibpraxis.

Weitere Informationen auf der Homepage des Künstlers


Der Online-Showcase von Fresh A.I.R. #3

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