Samuel Henne

untitled (for you)

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In Samuel Hennes Arbeit wird das Objekt der amerikanischen „Thank you“-Plastiktüte zum Mittelpunkt der Bildinszenierungen. Henne adaptiert die Einkaufstüte und formt sie zur Informations- und Bildträgerin um. In den Motiven, die wie Mindmaps angelegt sind, verweisen die Texte und Bilder auf unterschiedliche Ebenen. So referiert beispielsweise ein an der Tüte befestigter Zettel auf den üblicherweise an eine Essenslieferung gehefteten Kassenbon. Der auf dem Bon zu lesende Glaubenssatz „tomorrow will be better“, wiederholt sich und kehrt sich in der Repetition in eine negative Selbstanrufung um, hin zu einem „be better, be better“ und zu „will“ und „be“. Der kleingedruckte Text am unteren Rand der Tüte zitiert einen Science-Fiction-Film, in dem eine Mutter das Scheitern des amerikanischen Traums beklagt.
 
Die leeren Flaschen und Dosen im Innern der Tüten können als Verweis auf die Praktik des Pfandsammelns im öffentlichen Raum und auf die damit sichtbare gesellschaftliche Ungleichheit gelesen werden. Flaschensammeln ist in Deutschland zu einem Synonym für prekäre Arbeitsverhältnisse, für Altersarmut und für Lohnarbeit geworden, die nicht zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten ausreicht.

Die obere schwarz-weiß Abbildung auf der linken Seite der Tüte zeigt, als Bild-im-Bild, eine Installation des Künstlers Bas Jan Ader. In seinen Arbeiten geht es um das Fallen, Scheitern und um Kippmomente, die alles verändern. Bas Jan Ader zeigt beispielsweise in seiner Installation „Light vulnerable objects threatened by eight cement bricks“, wie große Zementsteine drohend über verschiedenen Objekten hängen, etwa über einer Blume, einem Foto oder einer Lichterkette. Eine andere Arbeit von Bas zeigt unter dem Titel „Broken Fall“ Fotografien, auf denen der Künstler nach rechts umzukippen droht. Auf der Fotografie links unten ist das Buchcover von George Perecs La Vie Mode d’Emploi aus dem Jahre 1978 abgebildet, sowie darauf lagernd in Glückskeksen implementierte Zitate von Samuel Becketts „Worstward Ho“ und des Popsongs „Que Sera, Sera (Whatever Will Be, Will be)“. Perecs Roman beschreibt ein Haus, seine Räume und die Geschichten der BewohnerInnen, ihre Verflechtungen und Handlungen und final das Scheitern eines künstlerischen Langzeitprojektes.

Hennes Bildinszenierung scheint auch auf das Phänomen des Precarity chics zu referieren, eine immer wieder für Aufregung sorgende Aneignung in der Modewelt. Hier werden beispielsweise Alditüten oder die Balenciaga-Trash-Bag als Vorlagen für ein Taschendesign genutzt und dann sehr teuer verkauft. Diese Art der Appropriation kokettiert offenkundig mit einem asynchronen Ausbeutungsverhältnis. Precarity chic lebt von der Potenz, für eine trashige Ästhetik, real gelebter Armut und Ungleichheit, teuer bezahlen zu können.

Das inszenierte Objekt der Einkaufstüte, die ansonsten in der Konsumwelt Glück und Erfüllung verspricht, wird in Hennes Arbeit zur Metapher für einen drohenden Fall und für gesellschaftliches Scheitern innerhalb kapitalistischer Wertigkeiten. Mit den in den Bildinszenierungen anklingenden Wirkweisen von Kapitalismus wird sozialer Ungleichheit ein Bild gegeben: eine Ungleichheit, die zutiefst undemokratisch ist.

Text: Dr. Silke Förschler