Oscar Lebeck

Freilegung

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Mit einem Weitwinkelobjektiv zeichnete Oscar Lebeck die Freilegung von Fundamenten inmitten einer Waldlandschaft am westlichen Rand Berlin-Spandaus auf. Das Video zeigt, wie der Künstler, verkleidet als Gärtner, den Boden einer Baracke des KZ-Außenlagers Falkensee von einer dichten Vegetationsdecke befreit. In dem von Häftlingen errichteten Lager waren im Nationalsozialismus ca. 2.000 Männer untergebracht, die zur Zwangsarbeit in den Werken der Deutsche Maschinen AG (DEMAG) für die Produktion von Waffen eingesetzt wurden. Das Schwarz-Weiß-Video macht verschiedene Ebenen des Erinnerns und Gedenkens deutlich. Im Laufe des Videos werden nicht nur die Fundamente des Lagers wieder sichtbar und können so wieder deutlicher wahrgenommen werden, sondern auch die Vernachlässigung des Ortes wird in Lebecks Video vor Augen geführt. Der Grad der Verwilderung des Gedenkortes verweist auf eine zentralisierte Erinnerungskultur in Deutschland, deren Fokus häufig auf Orte gerichtet ist, an denen eine große Zahl von Menschen von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Orten mit weniger bekannten Verbrechen wird häufig kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Nach der Freilegung durch den Künstler ist die Sichtbarkeit der Fundamente wieder gegeben. Die Handlungen im Verlauf des Videos machen die Topografie des Lagers anhand der Fundamente wieder deutlicher vorstellbar. Der Prozess der Freilegung wird damit gleichsam selbst zu einer Form des Erinnerns und Gedenkens.

Kamera: berlinARTcore, Michelle Nimpsch
Schnitt: Michelle Nimpsch

Medienreflexiv sind auch die Pigmentdrucke Lebecks mit dem Titel Groß-Rosen. Für seine Auseinandersetzung mit dem KZ Groß-Rosen, im heutigen Polen in der Nähe eines Steinbruchs gelegen, arbeitet der Künstler mit Überblendungen. So fertigte er Modelle von den heute nicht mehr vorhandenen Baracken an, die er dann mit Hilfe einer Doppelbelichtung im realen Gelände sichtbar machte. So werden die Topografie des Lagers sowie die Größe und Form der Bauten im Gelände deutlich. Lebeck nutzt derart die technischen Möglichkeiten der Fotografie als Form der erinnernden Präsentmachung. Roland Barthes fasst in seiner Publikation Die helle Kammer aus dem Jahre 1980 das Wesen der Fotografie als das Vermögen ein „Es-ist-so-gewesen“ darzustellen. Denn die Fotografie zeigt laut Barthes immer eine Szene oder ein Objekt, welches real vor der Kamera war, und bestimmt dadurch auch das Verhältnis zwischen Abgebildetem, Fotografen und Rezipienten. Und obwohl Lebeck mit Hilfe der Modelle und der Doppelbelichtung seine Motive zusammenstellt, also eine Szene kreiert, die so nicht mehr real ist, charakterisiert Barthes Aussage „Die Fotografie kann nicht leugnen, dass die Sache dagewesen ist“ Lebecks Serie präzise. Denn mit seinen eingeblendeten Modellen wird die Existenz der nicht mehr vorhandenen Baracken und damit der Alltag für viele Häftlinge im NS wieder ins Bewusstsein gehoben. Lebeck führt mit Hilfe der Überblendung die Fotografie im Sinne Barthes zu ihrem ureigensten Charakter zurück. Gleichzeitig zeigt er, wie Gedenken und mediale Eigenschaften der Fotografie verwoben sind.

Erinnern und Gedenken sind in Deutschland wesentliche Fundamente des demokratischen Selbstverständnisses. Der Künstler zeigt in seiner performativen Videoarbeit und in seinen Fotografien die spezifischen Möglichkeiten der Kunst, historische Ereignisse präsent zu machen und Vergangenes in die Gegenwart zu holen. Dabei ist der Umgang mit verschiedenen Zeitschichten des Erinnerns Teil seiner bildnerischen Reflektionen.

Text: Dr. Silke Förschler


Oscar Lebeck

Oscar Lebeck, geboren 1993 in Hamburg, absolvierte sein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und an der Glasgow School of Art. In seiner Arbeit geht es um die Darstellung und Sichtbarmachung von Spuren der Geschichte; so hat er beispielsweise für seine letzte Einzelausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig die Kulträume antiker Tempelstätten rekonstruiert. Mit seinem Schaffen untersucht er die Wahrnehmung geschichtsträchtiger Orte und regt zum Nachdenken über die Vielseitigkeit der Darstellung baulicher Relikte an.

Instagram: https://www.instagram.com/oscar_lebeck/