Marta_Bogdanska

Marta Bogdańska

Flamingos in der Winterzeit

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Könnte der Immigrant selbst
die Melodie seiner Zunge stummschalten—
Man sagt es ist das Schweigen
das die Musik erzeugt
Aber das wird sein
wie ein Trommeln
auf einer entfernten Wolke
wie der Oberst, der den Ton schneidet
den er nie fand
Der Klang von einem einzelnen klatschenden Immigranten.

Adrian Castro 

– after Czesław Miłosz

In Zusammenarbeit mit dem Klangkünstler Jarosław Downar sowie Giulia Palombino, Iulia Fronea, Mieke Strand, Sam Krosny und Susanne Lambert. Interpretation von Ludwig van Beethovens “Ode an die Freude” für Violine von Bartosz Grzybkowski Schweißarbeiten: Katrin Backhaus

Auf der Fotografie Flamingos in der Winterzeit, aufgenommen im Berliner Zoo, ist ein Schwarm Flamingos zu sehen. Am schneebedeckten Ufer stehend erwecken die zartrosa Vögel in einer Umgebung, die nicht ihrem Habitat entspricht den Eindruck von Verletzlichkeit und stimmen damit auf die Sound-Installation ein. Die Sound-Arbeiten entstanden im Rahmen eines dreimonatigen Gemeinschaftsprojekts unter dem Titel Safe and Sound.

In Workshops und kollaborativen Arbeitsprozessen wurde der Fokus auf die Erzeugung eines Narrativs gerichtet, das die Perspektive von Menschen mit Migrationshintergrund miteinbezieht. Während ihrer Zusammenarbeit entwarf die Gruppe ein Konzept für eine Klanginstallation. Hierfür nahm sie Geräusche und Texte auf, stellte erzeugte und gefundene Klänge zusammen und bearbeitete sie. Ausgehend von ihrem Alltagserleben im Berliner Stadtraum mit Baustellen, viel Verkehr sowie mit Reglementierungen im Öffentlichen Raum, gestalteten die Künstler*innen drei Klanggeschichten. Kontext der Hörstücke ist die humanitäre Not an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Die Hörstücke sind inmitten der Skulptur, Zutritt verboten, rezipierbar. Hier sind Metallpfähle und Stangen, Teile von Zäunen, Spikes und Straßenschilder, sowie Absperrband miteinander verbunden, sie transportieren sowohl physisch ist als auch metaphorisch die Aufteilung des Stadtraums in die Ausstellung. Birkenstämme zeichnen sich in der Mitte dieser Metallstruktur als fremde Elemente ab.

In der Audioarbeit mit dem Titel Der Ring wird die Berliner S-Bahn zur Protagonistin der Geschichte. Das Klangstück folgt der kreisförmigen narrativen Struktur der ‘Heldenreise’. Gefühle der Verwerfung, des Verlorenseins, und der sprachlichen Verwirrung scheinen auf. Angesiedelt ist die Geschichte im Reich eines monotonen Computerspiel-Universums.

Das Stück Wald/Ruhe hat eine dunkle Grundstimmung und möchte auf die seit Sommer 2021 bestehende Situation an der belarussisch-polnischen Grenze verweisen. Die Geräusche im Wald changieren zwischen Vertrautem und Gefährlichem, der Wald ist hier ein stummer Zeuge der Not und Ausgrenzung. Teil dieses Hörstücks ist die Sprachnachricht einer aus Afghanistan Geflüchteten namens Gul, aufgenommen am 21. September 2021, die seit dem 9. August 2021 an der polnisch-belarussischen Grenze festsitzt. „Grüße an die gesamte polnische Nation, Männer und Frauen! Wir sitzen zwischen den Stacheldrähten von Belarus und Polen fest. Was sollen wir tun, ihr wißt, in wessen Händen Afghanistan ist. Unser Land wurde von den Taliban eingenommen, und was sollen wir jetzt tun? Wir sind umgeben von Stacheldraht. Ihr wißt aus eurer eigenen Geschichte was es bedeutet, Flüchtende zu sein. Ihr wißt wie es ist. Man ist nicht daheim; man hat nichts zu Essen. Jeden Tag gehe ich und blicke auf die polnische und die belarussische Seite und frage mich wie es weitergeht. Bitte, bitte! Bitte, Polen, hab‘ Erbarmen mit uns! Holt uns weg von hier, irgendwo ins Landesinnere! Wir bitten nur darum, rettet uns vor dem Tod! Wenn ihr uns keinen Schutz bieten wollt, rettet uns wenigstens vor dem Tod. Wenn ihr uns nicht schützen wollt, ist das kein Problem, rettet uns nur vor dem Tod. Und dann werden wir irgend etwas tun, um in unser Land zurückkehren. Ihr alle wißt, dass wir nicht in unser Land zurückkehren können. Wenn wir das könnten, würde ich nicht eine Sekunde hier bleiben. Ich bin krank. Mein Rücken schmerzt, und meine linke Niere. Ich bin sehr krank. Nachts kann ich nicht schlafen. Wer wissen will, wie wir uns fühlen, kann kommen und uns fragen und sehen, in welcher Verfassung wir sind. Die Polizisten auf beiden Seiten können sehen, in welchem Zustand wir sind. Wir bitten sie um Mitleid. Sie sehen, in welchem Zustand wir sind. Das erste Mal in der Geschichte sehe ich eine Situation, in der Menschen mehrfach von dem Land, in das sie fliehen, aufgehalten werden und zur Grenze zurückgedrängt werden. Bitte tut uns das nicht an, helft uns! Holt uns hier raus! Niemand will uns helfen: Weder Polen noch Belarus.”

Im dritten Hörstück SoundProof wird die Frage thematisiert, was Freiheit bedeutet und wie sie für möglichst viele Menschen Realität werden kann.

Text: Dr. Silke Förschler



Marta Bogdańska

Marta Bogdańska ist eine polnische bildende Künstlerin, Fotografin und Filmemacherin. Ihre Arbeiten wurden international ausgestellt und veröffentlicht. Bogdańska nähert sich Themen mit kritischem Blick und arbeitet oft auf kollaborative und partizipative Weise. Sie verwendet Medien wie Fotografie, Text, Film, Ton und Workshops. Zu ihren jüngsten Projekten gehören: SHIFTERS, plaintext, LOVE THAT DARE NOT SPEAK ITS NAME, und Dokumentarfilme (NEXT SUNDAY, IN-BETWEEN, UNICORN).

Website: www.martabogdanska.com
Instagram: https://www.instagram.com/marta.bogdanska/
Vimeo: https://player.vimeo.com/video/405826768