Karin Lindstén

Tiergarten at Dusk

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the animals haunt / the flashlight on the other side / light near blue trees / leaning somewhat over the river / I stand there in the undergrowth like a screen / scratching bark / In skirt and heals in the soil.

In ihrem Gedicht und in ihrer Videoarbeit setzt sich Karin Lindstén mit dem Zusammenleben von Tieren und Menschen in der Großstadt auseinander. Die Künstlerin geht in ihrem Film auf eine poetische Weise den Merkmalen und Schwierigkeiten von menschlicher und tierlicher Cohabitation nach. Städte sind nicht nur Wohnräume für Menschen, Tiere waren immer auch schon Bewohner*innen von Ballungsräumen. Sowohl auf Grünflächen, in Parks und auf Balkonen als auch in Häuserwänden, in Bauruinen und auf Baustellen finden viele Wildtiere ein Habitat. Häufig sind für Wildtiere die Lebensbedingungen in den Städten besser als auf dem Land. Monokulturen im ländlichen Raum bieten schlechtere Bedingungen, so dass generell die Migration von Tieren in die Städte zunimmt. Dass es an den Berührungspunkten menschlicher und tierlicher Cohabitation Konflikte gibt, in denen Tiere unter der menschlichen Dominanz leiden, macht die Künstlerin deutlich. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Nutztiere und Schlachthöfe zunehmend aus den Städten verbannt, gleichzeitig konstituiert sich mit der bürgerlichen Familie die Praxis der Heimtierhaltung. Wildtiere werden häufig als Schädlinge ausgemacht, die es zu bekämpfen gilt. Diese Wertigkeit verändert sich langsam mit dem Aussterben einzelner Wildtierarten und mit dem Erkennen von Nahrungsketten.

Lindstén zeigt in ihrem Video die Dokumentation einer Performance, die im nächtlichen Tiergarten stattfand: Eine weibliche Rückenfigur leuchtet mit einer Taschenlampe den Tiergarten aus. Bäume, Äste, Blätter und Wasser werden durch die Lichtsignale sichtbar. Vor einer Leinwand werden die Schatten größer, ein Mückenschwarm und vereinzelt auch Falter sind zu erkennen, ihr Flug ist hektisch. Die Insekten können sich in dem grellen Licht nicht mehr orientieren. Diese Art der Leinwand wird in Kinofilmen dazu genutzt, Oberflächen zu verändern, anzupassen oder Menschen, Tiere und Dinge zum Verschwinden zu bringen. Die auf der Leinwand orientierungslos schwirrenden Insekten stehen für die menschliche Dominanz und für das Verschwinden von Tieren durch die menschliche Lebensweise. Was bedeutet die Stadtnatur im Tiergarten für Menschen und für Tiere? Wie kann das Zusammenleben im Stadtraum von Tier und Mensch funktionieren und welche demokratischen Werte können hierfür genutzt werden?

Auf den Fotogrammen sind Motten auszumachen, teilweise sind sogar ihre Flugbewegungen im Bild fixiert. Für die Herstellung der Bilder hielt Lindstén Fotopapier für zwanzig Sekunden auf den Bildschirm ihres Laptops. Derart wurde der virtuelle Mottenflug eingefangen und materialisiert. Steht das Licht im Video für die Unvereinbarkeit zwischen menschlichen Lebensweisen und den Bedürfnissen von Insekten sowie für Abhängigkeiten in der Großstadt, ist das Licht für die Fotogramme essenziell, um die Insekten überhaupt visualisieren zu können. Hier wird mit Hilfe der medialen Technik tierliche Bewegung sichtbar. Für die Cohabitation von Insekten und Menschen sind Reflexionen notwendig, um noch stärker in ein demokratisches Miteinander kommen zu können. Interspezies-Solidarität ist eng verbunden mit sozialer Gerechtigkeit und Ökologie in der Stadt.

Text: Dr. Silke Förschler