Johnny Pavlatos

Olala Weimar

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In einer ortsspezifischen Arbeit setzt sich Johnny Pavlatos mit dem queeren Schöneberg der Weimarer Republik auseinander. Rund um den Nollendorfplatz und in der Motzstraße lässt sich eine lange schwule, lesbische und queere Geschichte anhand der Cafés, Bars, Nachtclubs sowie der Orte künstlerischer Darbietungen entdecken. Die Bezeichnung „Regenbogenkiez“ ist auch heute noch fest etabliert. Bekannte und weniger bekannte Treffpunkte gab es in den 20er Jahren viele. Im Nationalhof in der Bülowstaße 37 beispielsweise wurden in der Weimarer Republik Bälle für Crossdresser gefeiert, es trafen sich hier verschiedene Clubs, etwa der Damenclub „Violette“, und es fanden regelmäßige Veranstaltungen für ein queeres Publikum statt. Das „Dorian Gray“ in der Bülowstraße 57 war ein englischsprachiger Treffpunkt für die elegante Damenwelt und im „Hollandais“ in der Bülowstraße 69 befand sich ein queeres Tanzcafé unter den U-Bahn-Bögen. Die Travestie-Shows im „Eldorado“ in der Motzstraße waren weit über Berlin hinaus bekannt und wurden von zahlreichen SchriftstellerInnen beschrieben. Das jähe und gewaltsame Ende dieser queeren Vielfalt nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 steht stellvertretend für das Ende einer kulturellen Szene, die Räume und Möglichkeiten für die Entfaltung von Minderheiten geschaffen hatte.

Pavlatos’ Vorgehen bestand darin, historisch wichtige Orte queerer Menschen ausfindig zu machen und neue Zugänge zu diesen Orten zu ermöglichen. Rund 60 Orte samt Besitzer*innen und Veranstaltungsarten trug Pavlatos zusammen. Im zweiten Schritt sammelte Pavlatos Eindrücke an den historischen Orten sowie Informationen in Texten und Bildern, die dann in eine Komposition übersetzt wurden. Den an diesen Orten gelebten Geschlechtsidentitäten und sozialen Utopien geht Pavlatos nach, indem historisches Material mit Tönen in Verbindung gebracht wird. Mit dieser eigens entwickelten Methode übertrug Pavlatos beispielsweise Gefühle von Arbeit und Liebe, Leid und Freude in Klänge. Ebenso die Art, wie sich Körper an diesen Orten bewegten, wie Farben und Stoffe die Räume bestimmten. Pavlatos bezeichnet das Vorgehen, Emotionen und Formen anzuordnen, um eine Partitur zu kreieren, als eine post-phänomenologische Methode. Reale und imaginierte Erfahrungen werden zu Klängen, um so Stimmungen, Gefühle, Körper, Bewegungen und die Vielfalt der Geschlechter nachzubilden und erfahrbar zu machen. Musikalisch experimentierte Pavlatos hierfür mit der Tonhöhe, mit Geschwindigkeiten und mit einem Chor. So wird beispielsweise das Café „Dorian Gray“ mit einer Komposition ausgehend vom Jazz der 20er Jahre akustisch erfahrbar.

Kamera: berlinARTcore, Michelle Nimpsch
Schnitt: Michelle Nimpsch

Zu jedem Ort schuf Pavlatos zudem ein Plakat. Die Bildsprache der Plakate bezieht sowohl Bildelemente von historischen Plakaten und historische Logos mit ein als auch neue Formen und Farbgebungen, mit Hilfe derer Stimmungen und Atmosphären der Orte wiedergegeben werden. Die entstandenen visuellen und akustischen Kompositionen versteht Pavlatos als Möglichkeit, räumliche und zeitliche Potenziale aus dem Berlin der 20er Jahre zugänglich zu machen. Dabei geht es nicht darum, Geschichte zu revidieren oder eine Metageschichte zu entwerfen, die die NS-Zeit ausblendet, sondern darum, die Gegenwart fassen zu können und derart eine andere Zukunft vorstellbar zu machen. Die lesbischen, schwulen und queeren Utopien der Vergangenheit sollen Utopien für die Zukunft werden.

Text: Dr. Silke Förschler


Johnny Pavlatos

Johnny Pavlatos arbeitet mit Klängen und Geräuschen, mal im Radio, mal öffentlich, und drückt soziales Engagement in Kunst und Performances aus. Pavlatos‘ Praxis umfasst somit ein Spektrum, das von Radiosendungen über öffentliche Performances, Installationen und soziale Skulpturen bis hin zu Hörspielen, Klangcollagen, grafischen Partituren und Interventionen im öffentlichen Raum reicht. Pavlatos‘ Fokus liegt dabei auf der Ergründung der Art und Weise, wie sich die soziale und wirtschaftliche Spaltung der Gesellschaft auf die Gender-Performativität auswirkt und wie queere theoretische Ideen diesen Prozess unterbrechen können.

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