Elektra Stampoulou

„rehearsing dormancy“ so far

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Ist es möglich, eine Ideologie anhand eines Geruches zu identifizieren oder Regierungsformen zu riechen? Wenn ja, wie riecht Demokratie? Duftet sie gut oder stinkt diese politische Form? Wie sind Gerüche und Politik im Alltag verbunden? In ihrem künstlerischen Forschungsprojekt nähert sich Elektra Stampoulou dem Feld der Demokratie über den Geruchssinn. Die Künstlerin beleuchtet Relationen zwischen Gerüchen und Erfahrungen mit Demokratie, basierend auf zufälligen Begegnungen im Stadtraum und in Gesprächen mit Berliner*innen. In den Erzählungen der Berliner*innen wurden häufig Ereignisse und Erlebtes mit Gerüchen assoziiert. So wurden beispielsweise Erfahrungen mit der Bürokratie mit dem Geruch von altem Papier in Verbindung gebracht, der Geruch vieler Körper in der U-Bahn oder auf einem Festival wurde mit Gleichheit assoziiert und der Geruch von verbranntem Gummi weckte Erinnerungen an eine Demonstration. Gerüche können jedoch auch Ungleichheiten des Zusammenlebens sehr deutlich machen, beispielsweise zwischen einem wohlriechenden dezenten Parfüm und einem unangenehmen aufdringlichen Gestank des Kanals.

Ausgehend von den Geschichten und Aussagen ihrer Gesprächspartner*innen destillierte Stampoulou während ihrer Residenz in Berlin einzelne Essenzen, fügte Duftmoleküle hinzu und schuf so neue Gerüche. Konserviert wurden die Gerüche in Glasampullen, diese können in der Ausstellung geöffnet, ausgeschüttet und gemischt werden, sodass sich der Geruch für die Besucher*innen entfalten kann. In eine kleine Schale wird alle paar Tage ein anderer Duft gegeben, der sich dann im Galerieraum ausbreitete. Zusätzlich setzt sich die Künstlerin in ihren Gedichten in komprimierter Sprache mit den Essenzen ihrer Feldforschung auseinander. Auf transparente Folien gedruckt, liegen die Gedichte übereinander und ergeben eine Mischung aus Erinnerungen, Anekdoten und Vorstellungen. Ihre Installation beinhaltet zudem geflochtene Naturwolle, Glasröhren, ein Kissen sowie visualisierte Notizen und deren Düfte im Raum.

Düfte und Gerüche haben das Potenzial, vergangene Gefühle und Stimmungen intensiv präsent machen zu können. Stärker als Gesehenes und Gehörtes können Gerüche Erinnerungen wecken. Häufig wird diese Eigenschaft von Gerüchen in öffentlichen und privaten Räumen dazu genutzt, unser Konsumverhalten, unsere Art zu Arbeiten sowie politische Entscheidungen zu beeinflussen. Gleichzeitig hat der Geruchsinn in unserer Kultur seit der Aufklärung wenig Aufmerksamkeit bekommen. Unsere Sprache bietet kaum Möglichkeiten, jenseits von gut riechend oder übel riechend Gerüche zu beschreiben. Geruchlosigkeit wird mit Sauberkeit und Ordnung gleichgesetzt, Stinkendes mit Schmutz und Unzivilisiertem.

Dieser binären Reduktion von Gerüchen setzt Stampoulou ein aktivistisches Anliegen entgegen. Ihr Ziel ist es, dass die Sinneseindrücke, die durch die Gerüche erinnert werden, Demokratie neu erfahrbar machen. Derart sollen mit Hilfe von Gerüchen sowohl neue Relationen zwischen Individuen und dem öffentlichen Raum ermöglicht und neue Wege politischer Handlungsfähigkeit sinnlich initiiert werden. Außerdem soll so eine Widerständigkeit gegenüber traditionellen Narrativen gesellschaftlicher Verhältnisse entwickelt werden. Das Werk Stampoulous dient also nicht lediglich als Archiv erinnerter Gerüche und Ereignisse, sondern will die Besucher*innen anregen, ausgehend von ihren Geruchserlebnissen die Kraft der Erinnerungen für ein zukunftsweisendes Handeln einzusetzen.

Text: Dr. Silke Förschler

Dank an Theo Echter und Giorgos Makris sowie an alle Teilnehmer*innen für ihre Eindrücke und Geschichten.


Elektra Stampoulou

Elektra Stampoulous forschende und künstlerische Tätigkeit dreht sich um Fragestellungen im Zusammenhang mit Begriffen wie Erzählung, Weitergabe, Wiederholbarkeit, das Unbestimmbare und das Verzaubernde. Ihre Arbeiten, meist in Form von Installationen, Performances und Texten, bewegen sich zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Unter Verwendung zeitabhängiger Verfahren, vielfältiger Medien und oft taktilen und olfaktorischen Komponenten ist sie erstrebt, unter anderem gemeinsame Erfahrungen, Handlungsmöglichkeiten, Unbestimmtheit und Umherwaberndes zu erkunden. Derzeit ist sie Doktorandin an der Athens School of Fine Arts mit einem IKY-Stipendium. Stampoulou hat einen BA in Literatur von der NKUA, einen integrierten MFA in Bildender Kunst von der ASFA und einen MPhil in Ethik von der NKUA.

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