Ecaterina Stefanescu

Ecaterina Stefanescu

Rooms


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Die Annäherung von Ecaterina Stefanescu an die rumänische Diaspora in Berlin erfolgt über Räume. Als Ausgangspunkt ihrer Arbeit wählte die Architekturdesignerin und Künstlerin einen rumänischen Lebensmittelladen. National orientierte Lebensmittelläden sind wichtige Treffpunkte, Anlaufstellen und Orte, die für die jeweilige Community Heimat und Austausch bedeuten. Stefanescu platzierte sich selbst in einem rumänischen Supermarkt in Friedenau und zeichnete dort Raumansichten und die um sie stattfindenden alltäglichen Szenen.

Mit Hilfe der erstellten Skizzen kam sie mit den Menschen ins Gespräch, lernte die Ladenbesitzerin Nicoleta kennen sowie den Stammkunden Toni und die Verkäuferin Maria. Über diesen Annäherungsprozess im öffentlichen Raum bekam Stefanescu Einladungen in private Räume und Einblicke in den Alltag und das Leben rumänischer Migrant*innen aus verschiedenen Generationen und mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Aus ihren Begegnungen konstruierte die Architekturdesignerin im Folgenden wieder Räume und Raumerfahrungen.

So baute sie Modelle im Maßstab 1:20 aus farbigem Papier und Karton sowohl von dem rumänischen Supermarkt als auch von den privaten Räumen, die sie besucht hatte. Detailliert sind in der Miniatur des Pia Roma Supermarkts die angebotenen Produkte zu erkennen. Gewürze, eingelegtes Gemüse, Öle, Süßigkeiten, Kuchen, Käse, Fleisch und traditioneller Alkohol. Und auch eine deutsche Besonderheit lässt sich in dem Miniaturraum erkennen: Unzählige gestapelte Pakete warten darauf abgeholt zu werden, denn der Supermarkt dient auch als Paketshop. Die Miniaturen der Wohnräume zeigen die grenzüberschreitende Identität der Menschen, die sie bewohnen: gemietete Unterkünfte, eingerichtet mit allgemeinen Möbeln, aber gefüllt mit Objekten und Artefakten, die für die Bewohner*innen eine Bedeutung haben und sie an ihre Heimat erinnern: Keramik, religiöse Ikonen, Textilien.

Die Fotografien der Miniaturzimmer machen die Räume noch einmal aus einer anderen Perspektive erfahrbar. Diese bildlichen Darstellungen der konstruierten Räume dienen dazu, die Betrachtenden in die Räume einzuladen. Hier bezieht sich Stefanescu auf die Arbeiten von Thomas Demand, der Fotos historischer Orte und von Tatorten aus Papier und Pappe nachbaut, die häufig bereits medial eine große Aufmerksamkeit erfuhren, um sie dann erneut zu fotografieren. Auch in Demands Bildern von Bildern gibt es eine Fokussierung auf die wesentlichen Merkmale der Orte, menschliche Akteure und Spuren sind aus den Fotografien gebannt. Neben den Interieurs zeigen die kleinformatigen Papiercollagen Stefanescus persönliche, emotional aufgeladene Gegenstände der Bewohner*innen, wie etwa geerbten Schmuck oder Geschirrtücher.

Die Miniaturräume können als fiktive Räume verstanden werden, gleichzeitig machen sie gesellschaftliche Normen deutlich und Zusammenhänge verständlich. Wie Gaston Bachelard in seiner 1957 erschienenen „Poetik des Raumes“ ausführt, sind Welten der Miniatur überblickbare Welten. Die erlebte Miniatur kann uns aus den wirren Enormitäten der Welt herauslösen. Dies nennt Bachelard eine „metaphysische Ausgleichsübung“, eine „Weltüberlegenheitsübung“. Zwar kann man in Miniaturen die Welt besser und geschickter besitzen, gleichzeitig werden für Bachelard in der Miniatur die Werte dichter und rascher. Generell formuliert der Autor für die Miniatur, dass man in ihrer Betrachtung über die Logik hinausgehen muss, um zu erleben, wieviel Großes im Kleinen Platz haben kann. Die Erfahrung von Topophilie offenbart sich für Bachelard insbesondere in Innenräumen, da hier eine innere Schönheit entdeckt werden kann.

Durch die Fokussierung auf Innenräume, die von den Besucher*innen durch Fenster, Türen und über die Öffnung der Decke betrachtet werden können, erforscht „Rooms“ die Grenzidentität von Einwanderern und wie diese durch ihre Art sich Einzurichten zum Ausdruck kommt. Die bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Modelle, Objekte und Collagen stellen die Kleinigkeiten des rumänischen Alltagslebens in Berlin vor Augen. Mit ihrer Betonung des Gewöhnlichen dokumentieren sie die gelebten Erfahrungen einer Gruppe von Menschen, die normalerweise nicht sichtbar sind. Mit den Miniaturnachbildungen bekommen die Räume der rumänischen Diaspora einen Wert verliehen. Die Schaffung der Miniaturräume ist ein Akt des Respekts, der kommerzielle und private Räume, die als banal und gewöhnlich abgetan werden, in atmosphärische Objekte verwandelt.



Text: Dr. Silke Förschler



About Ecaterina Stefanescu

Die in Rumänien geborene Ecaterina Stefanescu ist Architekturdesignerin und Künstlerin und lebt im Vereinigten Königreich, wo sie derzeit Architektur an der University of Central Lancashire lehrt. Ihr 2015 mitbegründetes Gemeinschaftsbüro Estudio ESSE entwirft kontextbezogene Installationen und maßgeschneiderte Designarbeiten. In ihren künstlerischen Projekten nutzt Stefanescu den Schaffensakt als Werkzeug zur Erkundung und Untersuchung und fertigt Modelle, Collagen und Zeichnungen an, die sich mit Orten und materiellen Kulturen von Menschen befassen.

Instagram: https://www.instagram.com/estudio_esse/
and: https://www.instagram.com/eca_stefa/