Denise Lobont

Denise Lobont

Growing Diaspora


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Auf den ersten Blick erinnern die drei im Ausstellungsraum aufgeschütteten Erdhügel an räumliche Installationen der Arte Povera Bewegung, deren Künstler*innen in den späten 60er und 70er Jahren mit alltäglichen Materialien wie Glas, Holz und Erde experimentierten. Jedoch wird schnell klar, dass es in der künstlerischen Arbeit von Denise Laura Lobont nicht ausschließlich um ein Material-Experiment geht, sondern um die thematische Auseinandersetzung mit Erntehelfer*innen in Deutschland. Rumänische Erntehelfer*innen erlangten während des ersten Lockdowns in Deutschland im Frühjahr 2020 eine große mediale Aufmerksamkeit, die ihre sonst im Verborgenen stattfindende Tätigkeit und die damit einhergehenden Arbeitsbedingungen während ihrer temporären Aufenthalte ins Bewußtsein rückten. Bilder von unzähligen wartenden Menschen an Flughäfen zirkulierten mit der besorgten Berichterstattung, was aus dem deutschen Spargel wird, sollten die Erntehelfer aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie keine Einreiseerlaubnis bekommen.

In ihrer Arbeit näherte sich Lobont den Spargelstecher*innen mit ganz anderen Fragen. Für die Fotografin war von Interesse, was die Abwesenheit aus der rumänischen Heimat mit den Arbeitsmigrant*innen machte und wie sich das Arbeitsleben in Deutschland zwischen März und Juni auf deren Privatleben und auf die Beziehungen zu den Familienmitgliedern in Rumänien auswirkte. Außerdem interessierte Lobont, was von den Erntehelfer*innen in der Spargelregion Beelitz, die hauptsächlich für die Versorgung Berlins mit dem Gemüse verantwortlich ist, übrig blieb und was über die Menschen gedacht wird, wenn sie nach Saisonende in ihre Heimat zurückkehren. Im Zuge ihrer Recherchen stieß die Fotografin auf Posts der Erntehelfer* in den sozialen Medien. Auffällig war hier, dass insbesondere während der Arbeitssaison in Deutschland viele private Fotografien wie beispielsweise von Familienfeiern in Rumänen sowie Kinderbilder hochgeladen und geteilt wurden. Also Aufnahmen von einem Leben, an dem die Erntehelfer*innen nicht Teil haben konnten. Von diesen insbesondere auf Facebook geposteten Bildern erstellte Lobont Screenshots. Diese Screenshots druckte sie wiederum im Blaudruckverfahren auf handgeschöpftes Papier mit dem Ziel, den Bildern Singularität zu verleihen und sie in einen Originalitätszustand zurückzuführen.

Der Blauton weist zudem Ähnlichkeiten mit dem Blau der EU-Fahne auf und schlägt damit eine Brücke zu den Regularien EU-spezifischer Arbeitsmigration nach dem Beitritt Rumäniens. Präsentiert werden die Fotografien an der Wand sowie auf den bereits erwähnten Erdhügeln, die an Spargelfelder erinnern und zudem die Assoziation von Heimaterde wecken. Für ein genaues Studium der Fotografien und von geposteten Texten sind die Betrachtenden also gezwungen, sich ähnlich der Spargelerntehelfer*innen auf die Höhe der Beete zu bücken. Die auf der Erde geteilten Posts handeln von der Sehnsucht nach der Familie in der Heimat, ein Gefühl das die Erntehelfer*innen verbindet. Als Motivation für einen saisonalen Arbeitseinsatz wird häufig die Möglichkeit genannt, schnell Geld zu verdienen und so Ideen, wie beispielsweise den Aufbau eines eigenen Bauernhofs in Rumänien, umsetzen zu können. Jedoch berichtet der Post auch vom Dilemma eines Erntehelfers, der sich in Deutschland verliebt hat, in Deutschland bleiben möchte und nun die bisher für den Bauernhof erworbene Ausstattung seinem Vater in Rumänien schenkte. In einem weiteren Post schreibt ein Erntehelfer von den 70 Tagen der Spargelernte. Ohne einen freien Tag führt er dann die anstrengende Spargelernte durch. Seit fünf Jahren ist er dabei, da der Job mehr Lohn bringt als in Rumänien zu arbeiten.

Im Unterschied zum unterirdisch wachsenden Spargel benötigt die Belichtung von Cyanotypien, auch als Eisenblaudrucke bekannt, direktes Sonnenlicht. Für ihre Arbeit über rumänische Spargel-Erntehelfer*innen in Deutschland verwendete Lobont diese fotografische Technik aus dem 19. Jahrhundert. Auf Portraits einzelner Spargelstangen, angeordnet um ein Spargelfeld in Beelitz, wird das Gemüse zur Ikone. Ein großformatiges Foto im Blaudruckverfahren einer Spargelwurzel sowie Fotos von Spargelblüten stellen uns den Kultstatus des Gemüses in Deutschland vor Augen. Mit den medial verschiedenen Annäherungen zeigt die künstlerische Arbeit zwei Seiten einer Medaille: Zum einen die Überhöhung des saisonalen Gemüses und zum anderen die daraus resultierenden Arbeitsbedingungen und Veränderungen des Privatlebens der rumänischen Erntehelfer*innen.



Text: Dr. Silke Förschler



Denise Laura Lobont

Denise Lobont wird die aktuelle Situation von Saisonarbeiter*innen, die aus Rumänien nach Deutschland eingewandert sind, untersuchen und ihrer Lebenssituation Gehör verschaffen. Sie interessiert sich für dieses Thema, da es sie persönlich und unmittelbar betrifft. Die Künstlerin wuchs mit einem Elternteil auf, der ständig auswandern musste, weil es in meiner kleinen Heimatstadt nicht genug Arbeit gab. Mit ihrem Denise Lobont (geb. 1995, Deva, Rumänien) schloss ihr Studium an der Nationalen Universität der Künste in Bukarest mit einem Bachelor-Abschluss in Bildender Kunst ab (2017). Während dieser akademischen Zeit erhielt sie ein Stipendium von einer Partneruniversität in Frankreich und absolvierte nach ihrem Abschluss ein fünfmonatiges Praktikum in Paris. Kürzlich schloss sie einen Master in Fotografie an derselben Universität ab. Derzeit arbeitet sie als Künstlerin mit besonderem Interesse an Dokumentarfotografie mit Schwerpunkt auf Geschlechteridentität und Migration.

Instagram: https://www.instagram.com/denise.lobont/
Website: https://deniselobont.com/