Anna Barnaföldi

Minimal Act for Democracy

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In ihrer vierteiligen Videoinstallation skaliert Anna Barnaföldi die Sichtbarkeit demokratischen Handelns. Die Medienkünstlerin fragt, wann und auf welchen Ebenen Demokratie zum Ausdruck kommt und fassbar wird. Die erste raumgreifende Installation zeigt eine Projektion auf mehreren Ebenen. Auf Pappschildern, die häufig auf Demonstrationen den Grund des Protestes in prägnanter Form wiedergeben oder eine Forderung sichtbar machen, projiziert die Medienkünstlerin Stockfotografien von Kundgebungen und Versammlungen, die im letzten Jahr stattgefunden haben. Die Fotografien sind in Bewegung versetzt und kommunizieren derart mit den Meinungsäußerungen. Die Schilder geben Gedanken aus Interviews wieder, die mit Wählenden am Tag der Wahl geführt wurden und ihre Hoffnungen und Ängste widerspiegeln.

Für ihre zweite Installation wählt Barnaföldi ein kugelförmiges Glas, in dem die aktuell im europäischen Parlament vertretenen Parteien mit Hilfe farbiger Papierpunkte repräsentiert sind. Im Hintergrund der konfettigleichen Ansammlung laufen die Ideologien der Parteien aus 27 Ländern im EU Parlament über einen Bildschirm und fallen dabei gleichsam in das Glas (beispielsweise: liberal, christlich oder grün). Im Unterschied zur häufig umgesetzten Repräsentationsform eines demokratisch gewählten Parlaments, nämlich des statischen Hufeisens, wirkt diese von Barnaföldi gewählte Darstellung dynamisch. Zudem macht diese Form der Repräsentation darauf aufmerksam, wie sich die Abstraktion eines Schaubildes und unsere Vorstellung demokratischer Handlungen verbinden.

Ebenfalls Teil des Werks von Barnaföldi ist eine Videoinstallation, die sich mit Reden von Kandidat*innen der letzten Präsidentschaftswahlen in der EU nach der Bekanntgabe des Ergebnisses am Tag der Wahl auseinandersetzt. Diese Projektion von zwei Seiten zeigt auf einer gefalteten Leinwand die letzten Sätze der Reden der Gewinner*innen und Verlierer*innen. Die Bilder fokussieren mit ihren gewählten Ausschnitten auf die Mimik der Sprecher*innen. Deutlich werden hier sowohl die Ähnlichkeiten in der Rhetorik als auch die Ähnlichkeiten der Körpersprache von Gewinner*innen und Verlierer*innen.

Den vierten Teil des Projektes bildet eine weitere Videoarbeit, die tagebuchgleich und sehr persönlich Bilder Barnaföldis am Tag der vergangenen Präsidentschaftswahl in Ungarn sowie ihre eigenen EKG-Daten zeigen. Hier reiht die Künstlerin auf eine poetische Weise Ausschnitte aneinander, wie beispielsweise Ansichten der von ihr verspeisten Gerichte und das Muster des Fußbodens im Krankenhaus, wo sie das Langzeit-Blutdruckmessgerät angesetzt bekam. Die Ergebnisse der Messung werden wie Untertitel eingeblendet.

Kamera: berlinARTcore, Michelle Nimpsch
Schnitt: Michelle Nimpsch

Rousseau analysiert in seiner Staatstheorie mit dem Titel „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts“ den freiesten Moment des englischen Volkes dann, wenn es wählt. Barnaföldis künstlerische Analyse zeigt das Verwobensein und das Zusammenspiel zwischen Wähler*innen und Kandidat*innen, zwischen Wahlergebnissen und persönlichem Befinden und zwischen Wähler*innen und den Verhältnissen in Parlamenten. Die von Rousseau im 18. Jahrhundert proklamierte Freiheit sollte sich das Individuum erst verdienen. In den Arbeiten Barnaföldis wird anhand der gezeigten Charaktere des politischen Feldes deutlich, dass gegenwärtig Freiheit eher mit dem Recht zu Demonstrieren verbunden wird als mit der Wahlmöglichkeit politischer Vertreter*innen, deren Auftreten recht schematisch ist.

Text: Dr. Silke Förschler


Anna Barnaföldi

Anna Barnaföldi ist Medienkünstlerin und Lehrerin für visuelle Kunst im Bereich der digitalen Kultur in Ungarn. Sie studierte an der Ungarischen Universität der Schönen Künste (HUFA) und der Moholy-Nagy-Universität für Kunst und Design in Budapest. Vor kurzem hat sie ihr Promotionsstudium an der HUFA abgeschlossen. In ihren Arbeiten setzt sie sich kritisch mit kulturellen und politischen Themen auseinander und erforscht die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Analyse und Interpretation. Seit 2011 wurden Barnaföldis Objekte, Videos und Projekte in Ungarn und Österreich ausgestellt. Barnaföldi wurde mit Forschungsaufenthalten und Stipendienprogrammen in Österreich und den USA ausgezeichnet.

Instagram: https://www.instagram.com/annabarnafoldi/