Andreas Langfeld

Ohne Titel (Begegnungen in einer postmigrantischen Gesellschaft)


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Rassismus ist in westlichen Gesellschaften die dominierende Reaktion auf Migration. Direkter und aggressiver Rassismus äußert sich in Angriffen auf Menschen, die nicht Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft sind, bis hin zum Mord. Struktureller und institutioneller Rassismus benachteiligt Menschen mit Migrationserfahrung, sowohl was die Zugänglichkeit zu Bildungsmöglichkeiten angeht als auch generell die Möglichkeiten, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten. Diese Verzahnungen von Rassismus und Migration greift Andreas Langfeld in seiner Arbeit auf.

Mit der gewählten Präsentationsform der Fotografien bietet Langfeld zusätzlich eine Analyse der Zusammenhänge von Rassismus und Migration an. Die Fotografien hängen übereinander in zwei Reihen, darunter finden sich erläuternde Texte zu den Portraitierten. Damit gibt Langfeld ihnen eine Stimme und macht ihren politischen Kampf nachvollziehbar.

Die untere Reihe der Fotografien setzt sich aus dokumentarischen Aufnahmen zusammen, die Spuren vom aktiven Widerstand gegen Rassismus im Berliner Stadtraum zeigen. Viele der Protestbilder, die sich wie Inschriften in das Gedächtnis der Stadt einschreiben, referieren auf den rechtsextremen Anschlag am 19.2.2020 in Hanau, bei dem neun nicht weiß gelesene Hanauer Bürger*innen ermordet wurden. Die Fotografien sind in Analogie zu den Spuren des Widerstands auf Wallpaper Material gedruckt und greifen die Wirkung von Plakaten oder Stickern im Öffentlichen Raum wieder auf. Damit ist diese Bildebene das Fundament für die Portraitaufnahmen und erinnert an den gesellschaftlichen Kontext in dem die Fotografien der Menschen entstanden sind.

Dieser Teil der Arbeit wird um die Perspektiven von Menschen erweitert, die nicht als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft gelesen werden. Indem sie die Aufnahmeorte ihrer Portraits auswählten und ihre damit verbundenen Erfahrungen und Kämpfe sichtbar machen, sind sie die Protagonist*innen der Arbeit von Langfeld. So lässt sich beispielsweise Ferat von Langfeld dort portraitieren wo er als Jugendlicher mit zwölf Jahren zum ersten Mal Racial Profiling durch die Polizei erlebte. Ferat schildert, dass ihn die Erfahrung kein Vertrauen in die Staatsgewalt haben zu können und das damit einhergehende Gefühl dass er in Deutschland nicht willkommen ist, zutiefst geprägt hat.

Gleichzeitig fühlt er sich auch heute noch im Kiez zwischen Kottbusser Tor und Kanal zu Hause, es sind die Orte seiner Kindheitserinnerungen, an denen er sich immer wieder gerne aufhält, auch wenn seine Familie aufgrund von Gentrifizierungsprozessen aus diesem Teil Kreuzbergs vertrieben wurde. In einem anderen Kommentar schildert die Protagonistin, Hero betitelt, ihren Kampf gegen rassistische und sexistische Strukturen, die in unserer Gesellschaft tief verankert sind und durch diskursive, institutionelle und visuelle Repräsentationen des Anderen permanent am Leben gehalten werden. Sie lässt sich während einer Gedenkveranstaltung für die Ermordeten von Hanau portraitieren. Melly, die eine Shisha-Bar als Ort für ihr Portrait wählt, schildert dass dieser Ort für sie und ihre Freunde ein Safe-Space war. Dies habe sich jedoch geändert, seitdem Diskussionen um Clan-Kriminalität geführt werden und Shisha-Bars regelmäßig in Großeinsätzen von der Polizei durchsucht werden.

Vor dem Hintergrund der Morde in Hanau, die auch in einer Shisha-Bar von einem Rechtsextremen verübt wurden, kämpft sie um die Rückgewinnung und Sicherheit dieser Orte. Im nächsten Raum sind Porträts des Rappers eRandy im Berliner Stadtraum zu sehen. Die gezeigten Ausschnitte aus dem Leben eines Musikers werden als Block ausgestellt. In der Art und Weise, sich mit seiner Musik im Berliner Stadtraum zu exponieren und sichtbar zu machen, beispielsweise vor dem Kranzler Eck oder auf dem Alexander Platz liegt eine Selbstermächtigung des Rappers. Der Film ist eine Auseinandersetzung mit den Begriffen „Einzelfall“ und „Einzeltäter“. Diese Begriffen dienen in Deutschland häufig als Erklärung für Gewalt an nicht weiß gelesenen Menschen. Derart werden die Verbindungen zu rechtsgerichteten Ideologien und rassistische Probleme innerhalb staatlicher Institutionen wie der Polizei verleugnet und die Gewalt lediglich als unzusammenhängende Einzelfälle eingestuft. Im Film blitzen diese Begriffe im Stadtraum immer wieder auf. In helles Licht getaucht lassen sich die mit den Begriffen verleugneten rassistischen Grundstrukturen nicht übersehen.

Text: Dr. Silke Förschler



Andreas Langfeld

Andreas Langfeld studierte an der Folkwang Universität der Künste in Essen.
Er arbeitet mit Fotografie und Film im Feld des Dokumentarischen. 2016 zeigte er eine Einzelausstellung im Museum Ostwall in Dortmund. Seine Arbeiten wurden zudem in verschiedenen Gruppenausstellungen gezeigt, wie dem F/Stop Festival für Fotografie in Leipzig, der Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, sowie im Centre Pompidou, Paris.