Marjolein van der Meer

I AM SEVERAL – Elektronisches Musikstück und PERFORMANCE

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Während der Performance stehen drei Tänzer*innen in einem leeren Berliner Zimmer. Beginnend mit langsamen Bewegungen loten sie zu einer Stimme und elektronischen Klängen den Raum aus. Zuerst bewegen sich die Körper individuell, um sich dann mit synchronen Bewegungen zu verbinden.

Marjolein van der Meer komponierte die Klänge aus digitalen Instrumenten und Schichten ihrer eigenen Stimme und zusammen mit der Choreographin Merel Franx setzte sie die Klänge zu einer Performance um, die wiederum den Rahmen für die Klangkomposition bildete. Ausgangspunkt für van der Meers Komposition sind die gregorianischen Gesänge der Benediktinermönche im Kloster St. Wandrille De Fontanelle in der Normandie.

Marjolein van der Meer – „I AM SEVERAL“
Marjolein van der Meer – „I AM SEVERAL“ Performance

Weiterführend waren für van der Meer die Gespräche mit ihrer Schwester, einer Neuropsychologin, bedeutsam, über die eigene innere Vielstimmigkeit, dem gleichzeitigen Streben nach Individualität und wie sich Wege des Zusammenseins realisieren lassen. Die Künstlerin entwickelte die Performance, um die Erfahrung einer körperlichen und seelischen Verbundenheit auszudrücken, die sie in den gregorianischen Gesängen gefunden hatte. Während des ersten Lockdowns brachte sie sich das Komponieren von elektronischer Musik selbst bei. Dabei ist für van der Meer immer auch von Interesse, den Körper und die physikalischen Elemente in der Musik zu berücksichtigen. Wie im chorischen Singen der Mönche erschafft die Künstlerin zyklische Klangfolgen mit der Natürlichkeit dieser Klänge als auch deren Fluss.

Ihre Klangkomposition hat vier Teile: Der erste Teil behandelt innere Stimmen und innere Dialoge, die sich in diesem Fall um die Frage drehen, etwas richtig zu machen und allen gerecht zu werden. Der zweite Teil sucht das, was uns verbindet: Die gemeinsame Bewegung und das Atmen als Teil der Choreographie. Im dritten Teil geht es um das Chorische, um etwas, das über uns als Individuen hinausreicht und uns miteinander in Verbindung bringen kann. Der abschließende vierte Teil dreht sich darum alles loszulassen, ziehen zu lassen: Die Tänzer*innen spielen ein Spiel. Mit der Anerkennung des Zusammenseins als menschliches Grundbedürfnis kann der Zyklus enden, ein neuer kann beginnen.

Chorische Klänge sind für van der Meer die Hauptinspirationsquelle. Die Gruppen-Performance von Michele Rizzo 2019 im Stedelijk Museum Amsterdam ist eine weitere Inspirationsquelle. Hier entwickeln die synchronen Bewegungen der Tänzer*innen zu elektronischer Musik einen tranceartigen Sog. Das Spannungsverhältnis besteht aus einem sich im Gleichklang bewegenden Kollektivkörper und den Tänzer*innen-Individuen. Auch in der „L’Encyclopédie de la parole – Suite n 1“ geht es um individuelle Flüstern, chorisches Sprechen, das (Vor)Sprechen Einzelner und das Nachsagen einer Gruppe.

Die Großstadt Berlin spielte für die Reflexionen der Künstler über die Möglichkeiten von Vielstimmigkeit und Individualität ebenfalls eine wichtige Rolle. Zusätzlich zu den urbanen Begegnungen ist Berlin für van der Meer ein Ort mit kreativer Energie, ein Ort, dessen Sound elektronische Musik erst möglich macht.

Text: Dr. Silke Förschler



Über Marjolein van der Meer:

Marjolein van der Meer (Niederlande, 1986) ist eine Spoken-Word-Künstlerin, eine Sängerin und Musikerin, Performerin und Regisseurin von Performances. Durch die Kombination von Musik, Bild und Text schafft sie vielschichtige Werke, wie Songs und Performances, Soundscapes und Hörstücke, die ihre Sicht auf die Welt offenbaren. Ihre Arbeit ist spielerisch und verbindet das Abstrakte mit dem Alltäglichen, wobei sie versucht, unter die Oberfläche zugehen, indem sie das Unterbewusste in Poesie und Bewegung nutzt. Zusammen mit dem Musiker Raymond Deirkauf hat Marjolein ein elektronisches Musikduo namens I, poor romantic. Das Duo veröffentlichte 2017 seine erste Single Cool, oh no Cool und 2019 eine EP, die auf den Märchen der Gebrüder Grimm basiert. Grimm tourte ausgiebig durch Theater in den Niederlanden und Belgien. Marjolein van der Meer kreierte zuvor Performances für Frascati und de Brakke Grond in Amsterdam. Ihre Audio-Dokumentationen wurden im niederländischen Radio (Hollanddoc) und online über die nationale Zeitung NRC gesendet.

Weitere Informationen über die Künstlerin: Website I Facebook I Instagram I Soundcloud |
Website Choreografin Merel Franx


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