Kiez meets Museum
„Mach ein Bild von Dir“

Ein Produktionstag des Workshops
„Von Nagel zu Nagel – von Ort zu Ort“ im Dezember 2018

Das Selbstbild eines jungen Menschen hat großen Einfluss auf die Berufswahl. Gerade in dieser wichtigen Phase des Lebens ist ein starkes Selbstwertgefühl wichtig.

Die Workshopwoche „Von Nagel zu Nagel“ macht jungen Menschen mit schwierigen Startbedingungen in ihr zukünftiges Berufsleben Lust und Mut, sich mit Zielen und Träumen, aber auch Bedürfnissen und Ängsten zu beschäftigen.

Omran (16) hat keinen Schulabschluss und bislang ein Praktikum im Altersheim und eines in einer Kfz-Werkstatt gemacht. Er möchte Maler und Lackierer werden, ist aber offen für Alternativen: „Jede gute Lehrstelle würde ich nehmen.“

Am ersten Produktionstag des Workshops in den Katakomben des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart stehen er und sein Berufswunsch im Mittelpunkt eines Fotoshootings.

Mit ausgestreckten Armen und zwei Malerrollen in der Hand berührt Omran bei der Stellprobe die Wände des ausgeleuchteten Gangs. Die anderen Teilnehmer des Workshops helfen, das Setup aufzubauen, rollen Abdeckpapier aus und kleben es fest. Finn (20) spielt beim Fotoshooting Omrans Chef. Er orientiert sich nach dem Abitur: „Ich möchte hier mehr über meine Stärken erfahren. Meine Leidenschaften Mathe und Musik möchte ich im Beruf gern kombinieren.“ Für das Fotoshooting bekommt Omran in seiner Rolle als Maler genaue Anweisungen von Medienkünstler Jakob Hüfner: „Du tust so, als ob du rennen würdest, Oberkörper nach vorn. Dann stoppst du, als ob hier eine Glaswand wäre.“ Jakob Hüfner weiß, dass Omrans Aufmerksamkeitsschwelle schnell gegen null gehen kann und appelliert an dessen Geduld: „Es lohnt sich. Das kann zwar jetzt ´ne Stunde dauern, aber wir kommen der Sache Schritt für Schritt näher. Es ist viel Arbeit, ein gutes Bild zu machen.“ In diesem spannenden Prozess probiert Omran eine völlig neue Rolle aus und setzt sich mit berufsrelevanten Eigenschaften wie Schnelligkeit und Kreativität auseinander. Sein inszeniertes Foto wird später viel mehr sein als ein Bewerbungsfoto oder Selfie: Das fotografische Selbstporträt bringt Omrans Wunschberuf Maler mit viel Dynamik und Witz auf den Punkt.

„Hier nimmt man etwas mit. Alle Projektleiter sind streng auf eine gelassene Art und Weise“

Gemeinsam gegen Jugendarbeitslosigkeit: Die gemeinnützige Initiative JOBLINGE e.V. unterstützt seit 2007 junge Menschen beim Berufseinstieg mit einem sechsmonatigen Programm. Die diesjährige achtköpfige Gruppe im Hamburger Bahnhof ist sehr heterogen. Masoud (23), der älteste Teilnehmer, ist vor drei Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Er arbeitet regelmäßig seit seinem 14. Lebensjahr und hat dabei viel Jobpraxis gesammelt – als Fliesenleger, Näher, Koch und Gärtner. In Berlin hat er zunächst die erweiterte Berufsbildungsreife abgelegt und Praktika als Metallarbeiter, Koch und Raumausstatter absolviert. Zu den JOBLINGEN ist er über das Jobcenter gekommen. Masoud: „Nach dem Praktikum als Raumausstatter wurde mir eine richtige Ausbildung angeboten, Verkürzung auf zwei Jahre möglich. Denn ich war dort gleich wie ein richtiger Mitarbeiter. Doch die Arbeit hat mir nicht so viel Spaß gemacht. Ich möchte jetzt endlich den Beruf für mein Leben. Ich weiß noch nicht genau was, aber auf jeden Fall Handwerk.“ Eins steht für das Projektteam schon fest: Auf Masouds Foto werden viele Hände zu sehen sein.

Nadine (18) hat eine Ausbildung zur Hotelfachfrau abgebrochen und träumt davon, Stewardess zu werden: „Ich wurde für das Foto nach meiner Vision gefragt und was meine Persönlichkeit auszeichnet. Auf jeden Fall möchte ich Stärke ausstrahlen: Ich springe für mein Foto von oben und kicke dabei die Leute weg – und das im strengen Stewardessenkostüm.“ Sie schätzt die Impulse durch die Initiative JOBLINGE: „Entweder man macht was draus – oder eben nicht. Das verstehen viele nicht, die in Maßnahmen sind.“

„Die Teilnehmer müssen sich mit sich selbst auseinandersetzen“

Die bildende Künstlerin Karin Winzer begleitet die jungen Erwachsenen gemeinsam mit den Medienkünstlern Jakob Hüfner und Jörn Hintzer durch die Workshopwoche im Museum. Am Anfang stand die Beschäftigung mit Selbstporträts und Performance-Videos aus der Kunstwelt. Karin Winzer: „Künstler zu sein, ist auch ein Beruf. Das lässt sich im Museum erleben. Und womit sind Künstler erfolgreich? Sie zeigen sich der Welt als Person. In der aktuellen Ausstellung hoppst zum Beispiel eine Künstlerin nackt sechs Stunden lang, bis sie vor Erschöpfung umfällt. Die Teilnehmer haben sich gefragt, welche Stärken sie in dieser Arbeit erkennen. Teilweise hatten sie einen durchaus kindlichen Zugang, aber eben auch eine natürliche Offenheit.“ Im Museum wird den Teilnehmern bewusst: Je individueller und authentischer sich die Künstler präsentieren, umso besser.

Einige Teilnehmer können sofort einordnen, was wir hier machen. Für andere bleibt es ein Rätsel, das sich vielleicht irgendwann einmal löst.

Karin Winzer, bildende Künstlerin

Karin Winzer: „Im nächsten Schritt fragen wir uns: Was sagt etwas über mich und meine Qualitäten aus? Was sagt mehr über mich als meine Zeugnisse?“ Ist dieser Weg zu einem neuen, facettenreicheren Bild nicht zu anspruchsvoll? Karin Winzer: „Einige Teilnehmer können sofort einordnen, was wir hier machen. Für andere bleibt es ein Rätsel, das sich vielleicht irgendwann einmal löst. Doch die Workshop wirkt für alle nach: Sie können in der Situation der Jobsuche auf ein neues Selbstbild zurückgreifen und es bestenfalls direkt für sich nutzen.“ Am 16. Januar 2019 werden Omran und seine Mitstreiter ihre Ergebnisse im Hamburger Bahnhof öffentlich präsentieren. Dann ist auch Gelegenheit, die Audioguides des Workshops „Stell die Verbindung her“ zu erleben, den Jugendliche für Jugendliche im Hamburger Bahnhof im Rahmen des Förderprojekts „KIEZ MEETS MUSEUM“ produziert haben.