Antigoni Tsagkaropoulou

PinkFullMoon

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Die drei überlebensgroße Phantasiefiguren beeindrucken durch ihre Raumpräsenz. In leuchtend-grellen Farben und mit ihren Schwingen heißen sie die Betrachtenden in ihrer Welt willkommen. Die Tier-Mensch-Mischwesen aus synthetischem Pelz, aus Samt und synthetischem Vinyl sowie mit aufgemalten Elementen laden alle ein, Teil ihrer Gemeinschaft zu werden. In einer ersten Begegnung ist dies über die weiche Oberfläche der Wesen möglich. Wie Kuscheltiere können auch die großen Wesen berührt und gedrückt werden. Mit der Nahbarkeit der zirka 2 x 2 m großen Figuren soll zugleich eine Intimität erzeugt werden, so der Wunsch Tsagkaropoulous, die die Betrachtenden offen für die politischen Anliegen und für ihren utopischen Entwurf macht. Die Accessoires der Figuren weisen auf ihre Zugehörigkeit zur Queer-Community hin: Sie tragen ausgefallene Schuhe mit hohen Absätzen, punkigen Schmuck sowie Schmuck der BDSM-Szene wie Ketten, Ringe, Piercings und aufgestickte Tattoos. Die Formen und die Gestalt der Phantasiewesen entstehen Schritt für Schritt während des Nähprozesses.

Antigoni Tsagkaropoulou – „PinkFullMoon“

Zu der skulpturalen Installation gehört ein an die Wand geschriebenes Gedicht, das die drei Wesen namens Lilly, Thunder und Crystal näher charakterisiert und ihre Welt erläutert. Das verbindende Band der Kreaturen ist ihre Schwesternschaft und ihre Femininität, die ihre Gemeinschaft begründet und aus der sich die Besonderheit des Zusammenlebens speist. In dem atmosphärisch dichten Gedicht wird eine Welt geschildert, die genauso real wie fiktional ist und in der Gedanken expandieren können, so dass es möglich ist, Grenzen zu überschreiten. Die Kreaturen sind Wesen der Nacht, sie erinnern an Fledermäuse und an Vampire, in ihrer Gemeinschaft wird Blut getrunken und an Bedürftige weitergegeben. Ihre Verwandtschaft entsteht derart über eine Blutsverbundenheit, die jedoch nicht über familiäre Blutlinien funktionieren, sondern eine alternative, in die Zukunft weisende Familienform bildet.

In Tsagkaropoulous Utopie sind Wahlverwandtschaften sowie eine gemeinschaftliche Fürsorge füreinander grundlegend, um in einer postapokalyptischen Welt existieren zu können. Der Hintergrund von Tsagkaropoulous Installation sind die sozio-politischen Konsequenzen, die aus den Bestimmungen zur Eindämmung der weltweiten Pandemie resultierten: Zementierte Genderrollen, ungleiche Verteilung der Care-Arbeit, häusliche Gewalt, Femizide, staatliche Kontrollen und gleichzeitig der Verlust von Jobs sowie das Wachsen sozialer Ungleichheiten.

Die Erfahrung von Kontaktbeschränkungen war insbesondere für politische Subkulturen gravierend. Für die Künstlerin hat es eine politische Dimension, wenn Subkulturen kein Austausch möglich ist und Menschen in ihren Bewegungsräumen eingeschränkt sind. Dies ist besonders für Menschen gefährlich, deren Zuhause kein sicherer Ort ist. Trotz des beschränkten sozialen Miteinanders fand Tsagkaropoulou in Berlin jedoch eine lebendige Queer-Community, deren Gemeinschaft und deren Zusammenhalt sie zu der utopistischen Installation inspirierte. Das Ziel der Installation ist es, alternative Narrative über Kollektivität zu schaffen, die sonst wenig Raum bekommen, und derart die Betrachtenden zum Eintauchen in andere Welten einzuladen.

Text: Dr. Silke Förschler



Über Antigoni Tsagkaropoulou:

Antigoni Tsagkaropoulou „Bunny“ (geb. 1993) leben und arbeiten in Athen. In ihrer Arbeit setzen sie sich mit Vorstellungen von Subjektivität, Sexualität, Geschlecht, Begehren und Koexistenz auseinander. Ihre multidisziplinäre Arbeit besteht aus partizipatorischen Installationen, Performances und experimentellen poetischen Texten. Sie schaffen damit visionäre Fiktionen und zeigen subversiv alternative Wege, wie man die Welt und das Subjekt in ihr wahrnehmen kann. In 2018 schufen sie Fluffy Library, ein einjähriges Hybridprojekt, das von der gemeinnützigen kulturellen Organisation ATOPOS cvc in Athen, im Rahmen der „Welthauptstadt des Buches“ (UNESCO) Athen 2018 produziert und von der gemeinnützigen Organisation NEON in Athen unterstützt wurde. 2019 wurde Fluffy Library als Einzelausstellung im Arnolfini Centre of Contemporary Arts in Bristol, UK, präsentiert. Die Arbeiten von Antigoni wurden auch auf der 6. Biennale von Thessaloniki „Imagined Homes“, der 10. Berlin Biennale „We don’t need another hero“ in Zusammenarbeit mit Fabiana Faleiros, dem „Manifestos for Queer Futures“ Festival im HAU Hebbel Am Ufer in Berlin, der Alternative Stage der National Opera of Greece, dem 60. Thessaloniki International Film Festival und im Goethe Institut Athen gezeigt. Sie haben mit vielen Künstlern wie z.B. Quimera Rosa und Brooke Candy in ihrem Videoclip „CUM“ zusammengearbeitet. Ihr neuestes Projekt ist ein universell zugänglicher Film mit dem Titel DEN-TATA PEARLS, der von der Onassis Foundation für das Borderline Festival 2021 in Auftrag gegeben und produziert wurde.

Weitere Informationen über die Künstler: Instagram


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